Die Verwirrung um das Sturmgewehr der Bundeswehr ist perfekt: Mit dem Argument, es treffe im heißgeschossenen Zustand und bei stark schwankenden Temperaturen nicht genau genug, mustert Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) das sogenannte G 36 bald aus. Im Alltag der Bundeswehr in Afghanistan allerdings hat sich die Waffe durchaus bewährt. Nach einer neuen, gestern vorgestellten Untersuchung haben die Soldaten bei ihren Gefechten keine Mängel festgestellt. Der Eindruck, es handle sich um ein „Pannengewehr“ sei damit widerlegt worden, betont einer der Gutachter, der frühere Grünen-Abgeordnete Winfried Nachtweih.
Unrealistische Testbedingungen
Offenbar sind die Bedingungen, unter denen das G 36 getestet wurde, nicht mit denen eines Einsatzes vergleichbar. Auf dem Schießstand und im Prüflabor, wo mit höheren Frequenzen geschossen wird und sich bei der Simulation von Extrembedingungen häufig ein Feuerstoß an den anderen reiht, trafen teilweise nur sieben Prozent der Schüsse ihr Ziel. In Afghanistan dagegen ist nach den Untersuchungen von Nachtweihs Kommission kein Soldat ums Leben gekommen, weil er Probleme mit seinem Gewehr gehabt hätte. Die fast 200 befragten Soldaten, von denen einige bis zu 20 Gefechte absolviert haben, beschrieben ihre Waffe im Gegenteil als bedienungsfreundlich, leicht und verlässlich.
Im Training dagegen, so Nachtweih, habe es sehr wohl „auffällige Präzisionsabweichungen“ gegeben.
Ein Nachspiel wird der Fall im Verteidigungsministerium dennoch haben. Neben der Suche nach einer neuen, moderneren Waffe treibt die Ministerin jetzt auch die Überprüfung von Entscheidungswegen und Organisationsstrukturen voran. Eine weitere Kommission um den früheren Commerzbank-Chef Klaus-Peter Müller hat hier teilweise erhebliche Defizite entdeckt. Dass es mehr als vier Jahre dauerte, bis die Spitze des Hauses überhaupt von möglichen Problemen mit dem G 36 erfuhr, liegt wohl auch an den ständigen Wechseln von Personen und Zuständigkeiten und am Fehlen einer modernen Informations- und Kommunikationstechnik.
Keine Hinweise auf Korruption
„Die Zeit, in der wir Panzer manuell gezählt haben“, kritisierte Müller, „müsste eigentlich vorbei sein. Hinweise auf Korruption fand seine Kommission zwar nicht – eine saubere Trennung der Verantwortlichkeiten aber sieht nach ihren Recherchen anders aus als die zwischen Heckler & Koch und den Behörden. In Oberndorf am Neckar hat die für den Hersteller zuständige Prüfstelle ihren Sitz bisher direkt auf dem Werksgelände.
Nun zieht sie an einen neuen Standort, um auch räumlich etwas mehr Distanz zwischen dem Ministerium und Heckler & Koch zu schaffen. In Gesprächen mit den Mitgliedern der Kommission beklagten sich die Prüfer des Bundes mehrfach über die dominante Art, die ihnen vonseiten des Herstellers entgegengeschlagen sei.
Einen Hauptverantwortlichen für die Probleme mit dem G 36 konnte Müller nicht ermitteln. Mitglieder seiner Kommission sprechen von einem unglücklichen Zusammenwirken verschiedener Stellen. Für die Bundeswehr sei das alles „kein Ruhmesblatt“, so einer der Experten. Wichtige Informationen hätten die Spitze des Hauses entweder überhaupt nicht oder zu spät erreicht, teilweise gebe nicht einmal elektronische Akten. Ganz auf der Höhe der Zeit ist das G 36 gleichwohl nicht mehr. Es habe „seine Leistungsgrenze erreicht“, sagte der frühere Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus, der ebenfalls in der Nachtweih-Kommission saß. Für künftige Einsätze gebe es mittlerweile bessere Gewehre.
Das Standardgewehr der Bundeswehr
Seit 1996 gehört das Sturmgewehr G 36 zur Standardausrüstung jedes Bundeswehrsoldaten. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden 176 544 Stück der Waffe bei dem Hersteller Heckler & Koch eingekauft, von denen noch 166 619 genutzt werden. Das Gewehr besteht zum großen Teil aus Kunststoff und ist deswegen mit einem Gewicht von dreieinhalb Kilogramm vergleichsweise leicht.
Nachdem Präzisionsprobleme festgestellt worden waren, entschied Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) das G 36 auszumustern. Ab 2019 soll es durch ein neues Gewehr ersetzt werden. Text: dpa