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PARIS
Das Flair von Kunst und Freiheit
Der Maler Stevan an seinem Stand in Montmartre
Foto: Birgit Holzer | Der Maler Stevan an seinem Stand in Montmartre
Birgit Holzer
 |  aktualisiert: 02.04.2019 11:21 Uhr

„Tagsüber sollten Sie hierher kommen, wenn die echten Maler der Place du Tertre da sind“, rät Rody, die ihre Kunstwerke an einer Leinwand neben sich angebracht hat. Es sind romantische Ansichten von Paris in Pastelltönen; sie zeigen den Eiffelturm, die Kathedrale Notre-Dame, den Triumphbogen.

„Später am Tag bleiben vor allem die illegalen Händler, die Massenware aus China verkaufen. Schade ist das.“ In der Tat: Während sich die Sommersonne von dem Platz auf dem Hügel von Montmartre unweit der Basilika Sacré-Coeur zurückzieht, leeren sich die kleinen Hocker der Künstler, die ihn säumen. Dafür füllen sich die Sitzplätze der Restaurants in der Mitte, deren Kellner mit ihren Baskenmützen französischer aussehen als „normale“ Franzosen.

Ein Abstecher auf die Place du Tertre gilt vielen Paris-Besuchern als ein Muss, wo sie ein Porträt von sich anfertigen lassen oder sich zwischen Souvenirläden und Crepes-Ständen auf den engen, pittoresken Straßen rundherum tummeln. Dabei hat der Touristenmagnet eine lange Geschichte. Im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts diente dieser Platz Malern wie Henri de Toulouse-Lautrec, Vincent van Gogh oder etwas später Pablo Picasso, die im Viertel lebten, als Künstler-Treffpunkt.

„Viele Leute wissen gar nicht, dass sie sich hier an einem historischen Ort befinden“, bedauert Stevan, der auf seinem Schemel neben einem Selbstporträt als Beispielbild für seine Kunst sitzt. Die Malerkreide hat die Finger des 68-Jährigen schwarz eingefärbt, mit denen er um sich zeigt. „Da vorne befand sich das erste Rathaus der Pariser Kommune, hier hinten die erste Psychiatrie der Stadt, wo der Poet Gérard de Nerval untergebracht war.“ Vom Flair einer Stadt der Kunst, der Freiheit und Improvisation ließ sich auch die Rumänin Rody anziehen, die seit den 80er Jahren auf der Place du Tertre ihre kleinformatigen Ölbilder verkauft. „Ich bin an jedem Tag, den ich ich hierher komme, wieder überwältigt von dem Anblick von Paris, dem Montmartre-Hügel, der Aussicht auf die Dächer der Stadt“, schwärmt sie. Auch wenn sich der Platz in all den Jahren verändere – und nicht unbedingt zum Positiven.

Sie spielt weniger auf die Karikaturisten an, die ohne offizielle Genehmigung hier unterwegs sind, aber immerhin zeichnen, sondern vor allem auf Verkäufer von vorgefertigten Drucken, oft aus China. Ob das verfolgt und geahndet werde, wie es der Stadtrat beschlossen hat? „Natürlich ist die Polizei manchmal da“, sagt Rody. „Aber sie hat doch eigentlich Wichtigeres zu tun.“

Tatsächlich kann sich nicht jeder einfach mit seinen Farben und einer Leinwand auf der Place du Tertre niederlassen und drauflosmalen. Seit 1983 vergibt die Stadt jedes Jahr 298 Ausweise mit der Erlaubnis dazu; dafür wird eine jährliche Standmiete von 280 Euro fällig. Jeden Stellplatz mit der Fläche von einem Quadratmeter teilen sich zwei Künstler, sodass ihre Zahl 150 pro Tag nicht überschreitet. Momentan wehren sich einige von ihnen gegen geplante Renovierungsarbeiten, durch die sie befürchten, noch weniger Platz zur Verfügung zu haben. Die meisten sind seit vielen Jahren, oft seit Jahrzehnten da, so wie Guillaume, der seit Studententagen kommt und sich inzwischen der Rente nähert. Schon allein mit seiner grünen Hose und den roten Socken sticht er durch Farbenfreude heraus; aber auch weil er, wie er hervorhebt, der Einzige ist, der Aquarell-Porträts anfertigt. 40 Euro verlangt er pro Bild. „Viele möchten Bilder wie Fotos, so realitätsgetreu wie möglich“, sagt Guillaume. „Ich mache aber keine Fotos, ich male.“ Das sei sein Broterwerb, während er zu Hause abstrakte Kunst anfertige, die er auch ausstellt.

Zufällig sei er hier als junger Kunststudent gelandet, erzählt der 63-Jährige. „Auf dem Montmartre zu malen, fand ich lächerlich, ich hielt mich damals für einen großen Künstler. Aber ich brauchte Geld.“ Und er merkte, dass er dieses Leben liebte – die Freiheit, malen zu können, zu beobachten. Aber auch Guillaume gefällt nicht alles, was er sieht. Nostalgisch klingt er, wenn er das Früher mit dem Heute vergleicht. „Kaum einer lächelt noch, jeder hat sein Mobiltelefon in der Hand. Man weiß gar nicht mehr, wer aus welchem Land kommt: Alle sehen gleich aus.“

Und doch sind es Menschen aus der ganzen Welt, die es hierherzieht, um ein Stück von Paris zu sehen, das zwar wie Folklore aussieht. Das aber einzigartig und noch immer authentisch ist.

 
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