Es sollte einer der wichtigsten EU-Gipfel für die Zukunft der Union werden – das gerade mal fünfstündige Treffen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag im rumänischen Sibiu (Hermannstadt). 40 Jahre nach der ersten Direktwahl zum Europäischen Parlament im Jahre 1979 und nur wenige Wochen nach dem ersten Austritt eines Mitgliedslandes aus der Gemeinschaft. Nur wenig ist von all dem übriggeblieben, wenn sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs heute in der 400.000 Einwohner zählenden Stadt in Siebenbürgen treffen.
Die britische Premierministerin Theresa May hat man gar nicht erst eingeladen, obwohl das Vereinigte Königreich immer noch ein ordentliches (und zahlendes) Mitglied dieser Gemeinschaft ist. Und das Vorhaben, den seit zwei Jahren dauernden Diskussionsprozess um die künftige Gestalt der EU abzuschließen, wurde auch auf das nächste Jahr verschoben. So scheint schon vorher festzustehen, was am Ende herauskommt: Die Verabschiedung einer gut zweiseitigen Erklärung, in der sich die Regierungen gegenseitig versprechen, „vereint durch dick und dünn zu gehen“, „immer nach gemeinsamen Lösungen zu suchen“, „unseren Lebensstil, die Demokratie und das Recht zu beschützen“, das „Prinzip der Fairness in Wirtschaft und Politik, Arbeitsmarkt und digitaler Transformation“ zu sichern und der „Wächter für die Zukunft der nächsten Generation von Europäern“ zu sein.
Damit nicht genug. In einer politischen Agenda für die kommenden fünf Jahre wollen die Staatenlenker vereinbaren, die Außengrenzen zu schützen, Terror und Kriminalität zu bekämpfen, den Rechtsstaat hochzuhalten, die illegale Migration abzuschaffen, Bildung zu garantieren, die Freiheit des Einzelnen sicherzustellen. Der Vergleich mit der Erneuerung eines Eheversprechens macht in Brüssel die Runde, seitdem die Entwürfe der beiden Papiere bekanntgeworden sind. Die EU erweckt den Eindruck, als gebe es weder Streit um Menschenrechte noch Pressefreiheit oder Rechtsstaatlichkeit in den eigenen Reihen.
Doch das Bild eines friedlichen Gipfeltreffens dürfte täuschen. Seit Mittwoch steht die Gemeinschaft unter massivem Druck, nachdem der Iran im Atomstreit die Gangart verschärft und allen bisherigen Partnern vorgeworfen hat, das Abkommen zu verletzen. Das trifft auch die EU, die ein kompliziertes Modell entworfen hatte, um weiterhin Öl und Gas aus Teheran zu beziehen, ohne gleichzeitig die verschärften Sanktionen der USA zu durchbrechen. Doch dieser Weg eines Tauschhandels über eine externe Börse nach dem Motto „Öl gegen Waren“ funktioniert nicht, das Iran-Geschäft der Banken ist praktisch zum Erliegen gekommen – und in der Folge auch weite Bereiche des Im- und Exportes. „Die EU muss außenpolitisch handlungsfähig bleiben“, appellierte der Europa-Politiker Markus Ferber (CSU) im Vorfeld an den Gipfel.
Doch niemand weiß, wie das gehen soll. Die Gemeinschaft steckt in einer Zwangsjacke zwischen dem bisherigen Partner USA und anderen. Hinzu kommen immer neue Begehrlichkeiten, wie sie beispielsweise der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz mitbringen wird. Er drängt auf eine umfassende Reform der europäischen Verträge von Lissabon, wohl wissend, dass dies die Gemeinschaft für etliche Jahre in neue innere Kämpfe verstricken würde. Dass es hinter den Kulissen drei Wochen vor der Europawahl auch um die Besetzung der europäischen Top-Jobs gehen wird, gilt offenbar als ausgemacht. Dennoch soll möglichst ein geschlossenes Bild abgegeben werden: Die EU möchte die Wähler zuhause für Europa begeistern, sie nicht verschrecken. Auseinandersetzungen sind in Sibiu einfach nicht vorgesehen.