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Das Biergarten-Symposium
Gipfeltreffen: Ohne sie gäbe es in Deutschland weniger zu lachen. Gerhard Polt und Eckhard Henscheid wirken zur höheren Ehre des Komischen. Einmal im Jahr treffen sie sich zu einer privaten „Humor- und Lebekunsttagung“ im Biergarten.
„Genießen heißt eben sich aufhalten“: Gerhard Polt und Eckhard Henscheid im Biergarten des Münchner Augustinerkellers.
Foto: Herbert Scheuring | „Genießen heißt eben sich aufhalten“: Gerhard Polt und Eckhard Henscheid im Biergarten des Münchner Augustinerkellers.
Von unserem Redaktionsmitglied Herbert Scheuring
 |  aktualisiert: 14.09.2012 18:56 Uhr

Schweinsbraten. Und rote Clownsnasen. Das sind nur einige der Themen, um die die Gedanken an diesem Nachmittag kreisen. Beim Schweinsbraten ist dies nicht allzu verwunderlich, nimmt er doch auf der Speisekarte des Münchner Augustiner-Biergartens einen wichtigen Platz ein. Gerhard Polt blickt zufrieden in die Karte und dann durch die alten Kastanienbäume nach oben. Weiß und blau sind die Servietten auf dem Tisch, weiß und blau wie der Himmel, auch wenn sich das Wolkengebilde mit der Formung des bayerischen Rautenmusters noch etwas schwertut. „Die Wolken ziehn dahin“ heißt ein Buch von Eckhard Henscheid, der, ins Gespräch mit seinen Tischnachbarn vertieft, bereits wichtige Dinge verhandelt: die neuesten Torheiten der Wagner-Festspiele, die Bedeutung Ratzingers oder des Kaiserschmarrns.

Wie von wunderbaren Mächten zusammengeführt, treffen hier zwei Großmeister des Humors aufeinander: der Schriftsteller und Satiriker Eckhard Henscheid, der nach Meinung vieler Leser und fachkundiger Experten die komischsten Bücher der deutschen Gegenwartsliteratur geschrieben hat, und der Humorist Gerhard Polt, dessen Filme und Bühnenauftritte legendär sind. „Polt ist ein Kontinent“, rühmte die „taz“ den Kabarettisten. „Henscheid ist ein Erdteil“, charakterisierte Büchner-Preisträger Martin Mosebach den Autor der „Trilogie des laufenden Schwachsinns“. Auch über ihr Wirken zur höheren Ehre des Komischen hinaus haben die beiden „Erdteile“ viel gemein: Beide haben mittlerweile das 70. Lebensjahr erreicht, beiden wurde der Bayerische Staatspreis für Literatur verliehen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Henscheid und Polt, die so viel zur Fortentwicklung komischer Darstellungsformen in Deutschland beigetragen haben, in Bayern verwurzelt und beheimatet sind: Polt im oberbayerischen Schliersee und Henscheid im oberpfälzischen Amberg. Aber was machen sie zusammen im Biergarten?

Das Treffen, sagt Polt, sei mittlerweile schon Tradition, „und Tradition ist wichtig“. Erst recht, wenn das Treffen in einem Traditionslokal stattfindet. Schon um 1850 herum zählte der Augustiner-Biergarten zu den beliebtesten in München, „obgleich er sich unmittelbar gegenüber der Münchner Hinrichtungsstätte befindet“, wie es damals im Stadtadressbuch hieß. Polt und Henscheid schätzen und mögen sich. Für Henscheid ist Polt ein Künstler, der den „wahnwitzigen Stiefel“, der in Bayern oft zusammengeredet wird, verdichtet und „zum Dampfen bringt“. Er sei „eine Zeit lang in Altötting aufgewachsen, was sehr günstig ist, wenn man Komiker werden will“, hat Polt einmal erklärt. Über seinen Kollegen Henscheid sagt er: „Er ist ein genauer Menschenbeobachter, der sehr gut schreibt.“ Menschen beobachten, die Abstrusitäten des ganz normalen Lebens festhalten, das beherrschen beide perfekt.

Es ist meist das Alltägliche, das Banale, das viel Komisches birgt. Es sind Figuren wie der Hotelier Ernst Held („Herr Ober!“) oder der Herr Grundwirmer und seine Mai Ling von Gerhard Polt. Eckhard Henscheids Charaktere heißen Hans Duschke, Alfred Leobold, Alwin Streibl, Horst Tempes oder Ferenc Knitter und fristen als Gebrauchtwagenhändler, Teppichverkäufer, gescheiterte Lebensversicherungsagenten oder ehemalige Staubsaugervertreter ihr Dasein. Als Protagonisten des beschädigten Lebens haben diese Figuren vieles gemein, trotz der unterschiedlichen Darstellungsformen: ob von Henscheid aufs Komischste ausformuliert oder von Polt auf der Bühne verkörpert. Und all die schwankenden Gestalten, die in diesen Geschichten auftreten, sind oft sehr nahe an Personen aus der realen Welt angelehnt. Fast wia im richtigen Leben eben.

Kein Wunder, dass irgendwann zusammenwuchs, was zusammengehört: 2005 traten Henscheid und Polt bei einer Lesung erstmals gemeinsam auf. „Wenn das gut geht, werden Polt und ich ab sofort den deutschsprachigen Raum mit nimmermüden Dauerlesungen überziehen und keine Ruhe mehr geben“, drohte Henscheid im Vorfeld an. Es ging gut, sehr gut sogar, und weitere Lesungen folgten. Die Lesung, als „historisches Gipfeltreffen“ gewürdigt, vereinte Texte wie „Blick in die Heimat“ oder das Nachdenken über das bayerische „Mpf“ und wurde – in Anspielung auf zwei Bücher der Vortragenden – unter dem Titel „Geht in Ordnung – sowieso – ja mei!“ als CD veröffentlicht.

Im Augustiner-Biergarten wird aus dem Holzfass gezapftes Edelstoff-Bier aufgetragen. Das „Traditionstreffen“, das Henscheid auch vage als „Humor- und Lebekunsttagung der Familien Polt und Henscheid“ umschreibt, fand dieses Jahr bereits zum siebten Mal statt. War es anfangs auf eine Kerngruppe rund um die beiden Großhumoristen samt Gattinnen Tini und Regina beschränkt, ist es mittlerweile auf 20 bis 25 Personen angewachsen: eine Münchner Fraktion, eine Amberger Fraktion und ein paar Versprengte.

Die Frage, wie er seinen inneren Frieden finde, hat Polt einmal so beantwortet: „Indem ich in der Gaststätte meiner Wahl die Speisekarte sorgfältig studiert habe und nach einem Beratungsgespräch mit der Bedienung zu einem Entschluss gekommen bin. Als ein Bestellthabender stellt sich dann häufig ein Gefühl der Zuversicht ein, welches dem inneren Frieden Vorschub leisten kann.“ Kesselfrische Weißwürste kommen auf den Tisch. Doch Polt hat heute noch nicht das Stadium des „Bestellthabenden“ erreicht. Zusammen mit Henscheid verschwindet er für kurze Zeit in der Tiefe des Raumes des Augustinerkellers. Ein Zeitungsmann aus München will sie zur aktuellen Lage des Humors in Deutschland befragen. Um das Thema zu illustrieren, versucht eine Fotografin die beiden zu überreden, mit roten Clownsnasen für ein Foto zu posieren. Aber das macht ein Polt natürlich nicht. Und ein Henscheid erst recht nicht. Die kugelrunden Nasen aus rotem Schaumstoff dürfen beide trotz ihrer Widerborstigkeit als Andenken behalten. Sie machen später am Tisch die Runde. Was haben rote Nasen mit Humor zu tun? Polt ratlos: „Keine Ahnung.“ Ja mei.

Die ersten Weißwürste und Schweinswürstel sind verzehrt. Eine „Wurstzurückgehlasserin“, so heißt eine Erzählung Henscheids, sitzt heute nicht am Tisch. Schweinsbraten und Knödel werden aufgetragen. Bei Polt, mittlerweile ein „Bestellthabender“, stellt sich ein Gefühl der Zuversicht ein. Der Schweinsbraten markiert, wenn man so will, sogar den Beginn von Polts Bühnenkarriere. Als Nebendarsteller hatte er Anfang der 70er Jahre in den Münchner Kammerspielen nichts weiter zu tun, als am Bühnenrand zu sitzen und stumm einen Schweinsbraten zu verzehren. Was ihm so gut gelang, dass er fast die gesamte Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zog. Zu Beginn seines Romans „Geht in Ordnung – sowieso – genau“ schildert Henscheid „ein gemeinsames Schweinebratenessen unter der Ägide von Alfred Leobold“ in der Gastwirtschaft Blödt und würdigt den Schweinebraten gar als „Katalysator“ der Kommunikation. „Feiner Schweinebratenduft tremolierte jetzt im Schmerz der Stimme“ schreibt Henscheid in der „Mätresse des Bischofs“ über seinen Helden Alwin Streibl. Die Rolle des Schweins- oder Schweinebratens in der Geschichte des deutschen Humors kann also gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Stand das gemeinsame Essen nicht überhaupt am Beginn des Nachdenkens über die Welt? „Warum heißen diese ersten berühmten philosophischen Begegnungen Symposien? Ein Symposium ist ursprünglich ein Gelage, wo Leute sich miteinander unterhalten, und es gibt was zum Essen und zum Trinken“, erklärte Polt in einem Interview anlässlich seines 70. Geburtstags: „Also die Gastlichkeit verbindet sich mit dem Gespräch. Für mich wäre es zu asketisch, mit jemandem zu reden ohne Nahrungsaufnahme“, denn: „Der Mensch ist eben auch ein Gefäß, wo was rein muss.“ Sowieso. Genau.

Es geht viel rein an diesem Nachmittag, und auch diskutiert wird über vieles: über den „Leberkas-Pepi“ aus Linz, bei dem sich um vier Uhr in der Früh die Hautevolee trifft; über den Herrn Zebaoth und Henscheids gotteskundlichen Roman „Aus der Kümmerniß“, der im Oktober erscheint; über den heiligen Augustinus – was im Augustinerkeller ja naheliegt; über die Aktion „Wetttrinken zu Gunsten der Aktion Sorgenkind“; über manierierte Künstler, marinierte Heringe und über die Frage, ob Hitler schwul war. Auch Karl Valentins These „Der Mensch ist gut, aber die Leute sind schlecht“ wollte während des Biergarten-Symposiums aufs Neue beleuchtet werden.

Der Biergarten muss ein Ort sein, der Polts Vorstellung vom Paradies ziemlich nahekommt. „Zum Paradies“ heißt auch eine Brauerei-Gaststätte in Henscheids Roman „Die Mätresse des Bischofs“. Henscheid selbst, der auch von „Andacht zwingenden“ Bratwürsten zu schwärmen weiß und übrigens auch vom Frankenwein, sowieso, zieht es regelmäßig auf die alljährlich in der Oberpfalz anstehenden Bier- und Bergfeste – nach Sulzbach, Mausdorf, auf den Fronberg oder den Mariahilf-Berg in Amberg. „Genießen“, so ein Leitspruch Polts, „heißt eben sich aufhalten.“ Polt nimmt noch einen Apfelstrudel mit Rahm zu sich. Eckhard und Regina Henscheid teilen sich einen Kaiserschmarrn. Nächstes Jahr stehen wieder zwei Lesungen von Polt und Henscheid an, noch vorher aber das nächste Treffen: „Oktober. Kallmünz. Schweinsbraten mit Zubehör!“, sagt Polt vieldeutig und bereits erwartungsfroh.

Die Clownsnase hat sich Gerhard Polt übrigens im Lauf des Nachmittags – nur zum Zwecke der Demonstration des Unfugs in privater Runde – doch noch für einen Moment auf die Nase gesetzt. „So hätte das ausgeschaut“, sagt er. „Aber ich habe die Nase nicht aufgesetzt.“ Geht in Ordnung. Ja mei.

Kaiserschmarrn? Sowieso. Ja mei.
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