Auf den ersten Blick ist es ein ganz normaler Montag. Am Fuß der Athener Akropolis halten die Reisebusse, die Touristen steigen die Stufen zu den Propyläen und zum Parthenon hinauf. Es weht ein angenehm kühler Westwind. Aber auch die meisten Urlauber haben gemerkt, dass dies für die Griechen alles andere als ein normaler Tag ist. „Heute Morgen haben wir drei Geldautomaten ausprobiert, aber alle streikten“, berichtet die deutsche Touristin Bettina Graber. Die 66-Jährige ist mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester unterwegs. Auch bei zwei Bankfilialen in der Nähe ihres Hotels standen die Urlauberinnen vor verschlossenen Türen. „Wir haben noch 200 Euro, das wird wohl reichen – morgen reisen wir sowieso ab“, sagt die Frau. Es klingt nicht so, als fiele den Schwestern der Abschied schwer. Im deutschen Fernsehen, das sie in ihrem Hotel über Satellit empfangen können, haben sie die Sondersendungen aus Athen verfolgt. „Wer weiß, was auf das Land noch zukommt“, sagt Bettina Graber besorgt.
Das fragen sich vor allem die Griechen. Seit Ministerpräsident Alexis Tsipras in der Nacht zum Samstag eine Volksabstimmung ankündigte, mit der die Wähler am kommenden Sonntag über Annahme oder Ablehnung des jüngsten Hilfsangebots der Gläubiger und die damit verbundenen Auflagen entscheiden sollen, machen sich Ungewissheit und Angst breit in Griechenland. Nachdem die Menschen am Wochenende in langen Schlangen vor den Geldautomaten und Tankstellen anstanden, nachdem sie sich in den Supermärkten mit Lebensmitteln eindeckten, stehen sie seit Montag vor geschlossenen Banken.
Auch an den Geldautomaten – die meisten sind seit Montagmittag wieder in Betrieb – ist nicht viel zu holen: Maximal 60 Euro pro Tag können die Griechen abheben. Damit sind die jetzt in Griechenland eingeführten Kapitalkontrollen sogar noch weitaus strenger als in Zypern, wo im März 2013 während der Finanzkrise ebenfalls die Banken für eine Woche schlossen. Die Zyprer konnten damals anfangs 100 Euro, später 300 Euro pro Tag aus den Automaten ziehen. Anders als damals in Zypern, gibt es nun allerdings in Griechenland Ausnahmen für Touristen: Wer mit einer ausländischen Kredit- oder Bankkarte an einen griechischen Geldautomaten geht, für den gilt die 60-Euro-Grenze nicht.
Er kann so viel Geld aus dem Automaten ziehen, wie es dem Limit seiner Karte entspricht.
„60 Euro pro Tag reichen mir, mehr kann ich sowieso nicht ausgeben“, sagt Christos Ioannidis. Der 69-Jährige sitzt in einem der traditionellen Kaffeehäuser im Viertel Makrygianni, unterhalb der Akropolis. Rund 690 Euro Rente bekommt er im Monat. Der alte Mann wirkt gelassen. „Ich vertraue Alexis Tsipras“, sagt er. „Gut, dass er den Europäern die Stirn bietet und sich nicht unterkriegen lässt.“ Die Geldgeber hätten den Griechen mit dem Spardiktat der vergangenen fünf Jahre ihre Würde genommen, klagt der Rentner. Dass Griechenland jetzt auf den Staatsbankrott zusteuert, scheint er noch nicht begriffen zu haben – oder es stört ihn nicht: „Was haben kleine Leute wie ich schon zu verlieren?“
Die Regierung versichert, Renten und Gehälter der Staatsbediensteten würden in dieser Woche planmäßig überwiesen. Noch am Montagabend sollte entschieden werden, welche Bankfilialen in den nächsten Tagen dafür zeitweilig öffnen werden. Renten sollen an den Bankschaltern in voller Höhe ausgezahlt werden, teilte die Regierung mit.
Überweisungen in andere Länder sind vorerst nicht möglich. Wer zum Beispiel Geld ins Ausland schicken will, weil dort der Sohn oder die Tochter studiert, muss zuvor eine Genehmigung der Finanzbehörden einholen. Wie das in der Praxis funktionieren soll, war am Montag noch unklar. Auch wenn die Bankfilialen nun frühestens am 7. Juli wieder öffnen sollen, dem Dienstag nach dem geplanten Referendum, laufen hinter den Kulissen die meisten Transaktionen normal weiter. Überweisungen innerhalb des Landes sind per Internet- oder Telefonbanking weiterhin möglich. Auch Daueraufträge werden planmäßig ausgeführt. Zahlungen mit Kreditkarten sind ebenfalls möglich.
In der Praxis sieht das allerdings anders aus, wie seit dem Wochenende auch viele Touristen merkten. In vielen griechischen Restaurants wurden Kreditkarten schon in der Vergangenheit nur ungern entgegengenommen. Der Grund: Kartenumsätze kann man vor dem Fiskus nicht verschleiern, Barzahlungen schon. Jetzt ist die Abneigung vieler Wirte, Hoteliers und Einzelhändler gegenüber dem Plastikgeld noch gewachsen. Bargeld lacht. „Auch wenn mir die Kreditkartenzahlungen auf dem Konto gut geschrieben werden, wer weiß, ob ich mein Geld je wiedersehe?“, sagt der Besitzer eines Andenkenladens in der Nähe des Akropolis-Museums. „Schließlich muss ich meine Lieferanten bezahlen, und die bestehen auf Vorkasse.“
Was auf Deutschland zukommen könnte
Wie teuer ein griechischer Staatsbankrott die deutschen Steuerzahler zu stehen käme, lässt sich im Finanzministerium in Berlin nicht einfach per Knopfdruck ermitteln. Schätzungen beziffern das Risiko auf 80 bis 90 Milliarden Euro. Welche Kredite die Regierung in Athen im Ernstfall noch bedienen könnte, ist Spekulation. Folgende Posten stehen im Feuer:
KfW-Bank: Das bundeseigene Institut hat für das erste Hilfspaket im Frühjahr 2010 Kredite von 15,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Sollten sie ausfallen, muss der Bund für die Verluste einstehen. Zu einer soliden Buchführung gehört aber auch, dass die KfW für die Darlehen bisher fast 400 Millionen Euro an Zinsen eingenommen hat. Rettungsschirm: Im zweiten Hilfspaket in Höhe von 163 Milliarden Euro aus 2012 stecken neben den Mitteln des Internationalen Währungsfonds auch 143 Milliarden Euro aus dem Europäischen Rettungsschirm EFSF, von denen Ende April 131 Milliarden ausbezahlt waren. Sollten die europäischen Gläubiger ihre Hilfen komplett abschreiben müssen, haftet Deutschland mit rund 41 Milliarden Euro.
Staatsanleihen: Um Griechenland zu stabilisieren, hat die Europäische Zentralbank (EZB) Anleihen des Landes aufgekauft, von denen Athen allerdings einen großen Teil inzwischen wieder abgelöst hat. Nach Berechnungen des Münchner Ökonomen Hans-Werner Sinn steht Deutschland hier noch für etwa 4,5 Milliarden Euro gerade. Notkredite: Damit die griechischen Banken liquide bleiben, hat die EZB ihnen eine Art Dispokredit von 90 Milliarden Euro eingeräumt, den die griechische Zentralbank auch nahezu komplett ausgeschöpft hat.
Formell muss sie diesen Dispo auch wieder ausgleichen – im ungünstigsten Fall jedoch, etwa bei einem Austritt des Landes aus dem Euro, blieben die Verluste vermutlich bei der EZB hängen, womit Deutschland noch einmal mit mehr als 26 Milliarden Euro betroffen wäre. Text: rwa