Wenn es ein Lebensmittel gibt, für das in Frankreich keine Werbekampagne nötig ist, dann ist es das Baguette – möchte man meinen. Ist der Franzose nicht bereits morgens mit Baskenmütze auf dem Haupt und einer goldgelben Brotstange unter dem Arm unterwegs, von der er systematisch die Spitze abreißt, um sie noch warm zu probieren? Gehört nicht zu jeder Mahlzeit Baguette, mit dem er am Ende seinen Teller so sauber auswischt, dass dieser unbenutzt aussieht?
Ja! Aber er wird dabei immer sparsamer – und das knabbert am Image des Baguette. Aß ein Franzose in den 70er Jahren im Schnitt noch eine Baguettestange am Tag, so reicht ihm heute eine halbe. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verzehrte er täglich sogar fast ein ganzes Kilo Brot. Doch der Konsum ging stark zurück, vor allem bei Kindern, die fast ein Drittel weniger Brot essen als noch vor sieben Jahren.
Nicht fundierte Ernährungsängste
Um diesen schleichenden Bedeutungsverlust eines urfranzösischen Grundnahrungsmittels, ja Nationalsymbols aufzuhalten, hat das „Observatoire du pain“, übersetzbar etwa mit „Brot-Beobachtungsstelle“, die seit 2006 Lobbyarbeit für die französischen Müller und Bäcker betreibt, eine Werbekampagne lanciert, die leicht und humorvoll daherkommen will. Ein Plakat mit einem gigantischen Baguette unter der Aufschrift „Kuckuck, hast du das Brot geholt?“ soll die Menschen daran erinnern, den Lieben zu Hause frisches Brot mitzubringen. Einer Umfrage zufolge interpretieren 80 Prozent der Befragten diese Geste als Zeichen, dass man an die anderen gedacht hat.
Fast 98 Prozent der Franzosen essen täglich Brot, 41 Prozent immerhin dreimal am Tag, 23 Prozent zweimal. Und doch sorgt sich Bernard Vallois, Co-Präsident der „Brot-Beobachtungsstelle“, angesichts veränderter Lebensweisen und der Konkurrenz durch Pizza und Pasta, Döner, Burger und Sushi. „Die Essgewohnheiten wandeln sich“, sagt er. „Die Menschen arbeiten oft zu lange, um danach noch in die Bäckerei zu gehen. Jugendliche lassen das Frühstück aus.“ Die Plakate sollen einen Reflex bei den Menschen erzeugen, noch ans Brot zu denken. In drei Werbewellen werden diese in 130 Städten mit mehr als 20 000 Einwohnern gezeigt, Bäckereien sollen es in ihre Vitrinen hängen und die Baguettes in Papiertüten verpacken mit der Aufschrift „Kuckuck, ich habe das Brot geholt“.
Beworben wird das Brot als „Begleiter im Alltag“, das zu jeder Tageszeit passt; als gesundes Lebensmittel, das reich an komplexen Kohlenhydraten, aber arm an Fett und Zucker und daher auch für Figurbewusste gut geeignet sei – anders als es „nicht fundierte Ernährungsängste“ glauben machten. In der Tat sind die Franzosen, die im Jahr immerhin zehn Milliarden Baguettes verzehren, das schlankste Volk Europas.
Der Umfrage zufolge ziehen 73 Prozent den traditionellen Bäckerbetrieb dem industriellen Angebot im Supermarkt vor. Mit 32 000 Betrieben hat Frankreich weltweit die höchste Dichte an unabhängigen Bäckereien. 1950 waren es noch 54 000. Diverse Aktionen verhelfen ihnen zu einer noch besseren Sichtbarkeit. So schützt seit Mitte der 90er Jahre ein Label handwerklich arbeitende Bäcker, die sich damit von Industriebetrieben abheben. Einmal jährlich wird das beste Baguette von Paris gekürt, dessen Hersteller ein Jahr lang den Élysée-Palast beliefern darf. Heuer gewann Ridha Khadher – das beste Baguette macht ein Tunesier.