Diese Tage in Brighton erinnern mehr an ein Volksfest als an einen Parteitag. Das Riesenrad dreht sich am Strand in der Sonne und der Geruch von Fish'n'Chips hängt über dem Seebad. Ein paar Demonstranten versuchen zwar mit Plakaten und Lautsprechern, Protest-Lärm gegen Kürzungen im Gesundheitswesen zu machen, doch am Ende singen sie wieder nur ein Loblied auf den neuen Chef der Labour-Partei, Jeremy Corbyn.
Seit er am Wochenende zum Parteitag in Brighton angekommen ist, wird der 66-jährige Altlinke bejubelt und beklatscht. Nicht nur Anhänger auf der Straße reichen ihm die Hand, auch in der Kongresshalle empfangen ihn die meisten der 10 000 Delegierten begeistert. An diesem Dienstag hält er seine mit Spannung erwartete Rede. Wie wird sich Labour unter dem Sozialisten Corbyn, der vor zwei Wochen von der Basis mit klarer Mehrheit ins Amt gehoben wurde, aufstellen? Steht den Sozialdemokraten ein kompletter Neuanfang bevor? Fest steht, dass Corbyn, der mehr als drei Jahrzehnte als Hinterbänkler im Unterhaus saß, bislang vor allem als Protestler gegen die eigene Parteilinie aufgefallen ist.
Die sogenannte Corbynmania sei vor allem eine „Befreiungsbewegung“, schreibt der „Guardian“. Doch um wirklich zu gewinnen, müsse er nun einen Weg finden, „mit Leidenschaft und Mitgefühl zu den Millionen skeptischen Wählern zu sprechen“. Denn eine aktuelle Umfrage ergab, dass die Briten Corbyn zwar als ehrlicher als die anderen Spitzenpolitiker wahrnehmen, ihm aber jegliche Führungsstärke absprechen. Mehr als die Hälfte der Befragten würde sich im Krisenfall den amtierenden Premier David Cameron wünschen, nur 23 Prozent geben den Labour-Chef an.
In seiner Grundsatzrede muss Corbyn deshalb gleich mehrere Brücken bauen – die in die bunt gemischte Öffentlichkeit hinein und die zu den parteiinternen Kritikern, die Labour eher in der politischen Mitte verankert sehen wollen. Und von denen gibt es mehr als genug. Einige Labour-Minister legten nach der Wahl ihre Ämter im Schattenkabinett nieder, andere warnten vor dem Untergang der Partei. Hinter vorgehaltener Hand ist in Brighton gar von Komplott-Plänen zu hören. Corbyn muss nun die Spaltung der Fraktion aufhalten. Aber wird der Sozialist auch jene überzeugen können, die noch den Kurs des Ex-Premiers Tony Blair unterstützen? Dieser hatte in den 90er Jahren mit New Labour eine wirtschaftsfreundliche Variante der Sozialdemokraten erfunden.
Abschaffung der Atomwaffen
Corbyn, einer der energischsten Kritiker der Sparpolitik der konservativen Regierung, will mit alten Rezepten neue Erfolge. Austritt aus der Nato, höhere Steuern für Reiche und Konzerne, Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, eine Anti-Haltung bei Luftangriffen auf die IS-Terroristen in Syrien, Abschaffung der britischen Atomwaffen. Insbesondere die letzten Positionen sind nicht unbedingt mehrheitsfähig auf der Insel. Das wurde bereits zu Beginn des Parteitags deutlich. Bislang war es in der Parteispitze Konsens, dass das Trident-Programm im kommenden Jahr erneuert werden soll. Pazifist Corbyn wünscht eine nukleare Abrüstung und hatte sich eine Debatte über das Reizthema gewünscht. Nun fand sie erst gar nicht statt, sie wurde abgelehnt.