Es gibt Büros, die so kühl und zweckmäßig eingerichtet sind, dass es den Besucher fröstelt – und es gibt das Büro von Claudia Roth. Neben der Tür stehen auf einem Holztisch eine Kiste Datteln und eine Nippesfigur, auf der Bank davor liegen gemütliche Sitzkissen und auf dem Boden orientalische Teppiche, als säße die Frau, um die es hier geht, in ihrem Wohnzimmer und nicht in ihrem Bundestagsbüro. Auch um die bunt gepolsterten Stühle musste die frühere Grünenchefin lange kämpfen – obwohl die billiger waren als die funktionalen Einheitsmöbel, die die Parlamentsverwaltung sonst beschafft.
Bunter und schriller
Schon als Parteivorsitzende hatte es Roth gerne etwas bunter, schriller als die anderen. Als Vizepräsidentin des Bundestages versucht die Augsburger Abgeordnete nun, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen: irgendwie die Alte zu bleiben, farben- und lebensfroh, sich gleichzeitig aber noch einmal neu zu erfinden. Am Ende ihres persönlichen Marsches durch die Instanzen erlebt sie so, wie ein Amt die Wahrnehmung eines Menschen verändern kann und wie aus der oft belächelten Parteifrau Roth plötzlich eine gefragte Schirmherrin, Festrednerin und Laudatorin wird. „Wo ich auch hinkomme“, erzählt sie im Gespräch mit dieser Zeitung, „begegnen mir die Menschen jetzt mit Respekt“.
Die frühere Managerin der Anarcho-Band „Ton, Steine, Scherben“ ist mit ihrem Amt ins staatstragende Fach gewechselt – mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Wenn sie jetzt auf dem Gezi-Platz in Istanbul in einen Tränengasangriff gerät, hat ihr eine Protokollbeamtin erklärt, bekomme dort nicht mehr die Demonstrantin Roth etwas auf die Mütze, sondern die Bundesrepublik Deutschland. Und wenn ihr, wie schon geschehen, die saudische Regierung die Einreise verweigert, dann wäre das jetzt nicht mehr das private Problem der Menschenrechtlerin Roth, sondern ein diplomatischer Eklat. Als Vizepräsidentin vertritt sie keine Partei, sondern wie eine Diplomatin ihr Land.
Grüne Frauen in der Beletage des Parlamentes hat es auch vor ihr schon gegeben, die unauffällige Antje Vollmer zunächst und nach ihr die pastorale Katrin Göring-Eckardt. Bei keiner von ihnen aber war der Rollenwechsel so abrupt wie bei Roth, die nach ihrem Rückzug von der Parteispitze zunächst nicht so genau wusste, wie es weitergehen sollte und wie sie mit dem erwartbaren Mangel an Aufmerksamkeit zurechtkommen würde.
Ein Polit-Junkie sei sie gewesen, sagt sie, „immer auf der Überholspur, immer im Kampfmodus“ und auch nicht immer ganz sattelfest in den Themen. Wer, wie sie, elf Jahre lang zu allem und jedem gefragt werde, surfe zwangsläufig „auf der Oberfläche“, räumt die 58-Jährige heute ein. Mittlerweile aber hat sie die 8,4 Prozent bei der Bundestagswahl verdaut, die ihre Parteikarriere beendet haben. Besser noch: „Mir geht es richtig gut.“
Anfang des Jahres war sie im Irak, im Libanon und in Jordanien, um sich über die Lage der syrischen Flüchtlinge zu informieren – ein grünes Thema, ja, aber eben auch ein deutsches. „Ich fahre auch in Zukunft dahin, wo es wehtut“, sagt sie. Mag der Aufstieg zur Vizepräsidentin für manchen Kollegen nur die Krönung einer Abgeordnetenlaufbahn und eine repräsentative Zeile im Briefkopf sein, so ist er für Claudia Roth vor allem Mittel zu Zweck: „Ich will im Ausland unsere Idee von Parlamentarismus und Demokratie vertreten.“
Unbequeme Fragen
In Bahrain oder Katar, die sie bald besucht, kann die politische Nomenklatura einer grünen Funktionärin und ihren unbequemen Fragen vielleicht noch aus dem Weg gehen, nicht aber einer hohen Repräsentantin des Bundestages. „Ich begrüße Ihren Einsatz für die Rechte der Arbeiter in Katar“, hat der Präsident des Fußball-Weltverbandes, Joseph Blatter, ihr deshalb gerade geschrieben, der in Katar eine WM ausrichten muss.
Im Bundestag interpretiert die gelernte Dramaturgin ihre Rolle anders als andere Vizepräsidenten. Mal lässt sie das Parlament für einen Kollegen von der CDU ein Geburtstagsständchen singen, mal gratuliert sie einem neuen Abgeordneten der CSU zu dessen erster Rede. Dass ein paar Prinzipienreiter murren, mit ihren kleinen persönlichen Bemerkungen verstoße die Vizepräsidentin gegen die guten parlamentarischen Sitten und die in ihrem Amt gebotene Unparteilichkeit? Geschenkt. Bei Claudia Roth darf es ruhig etwas menscheln.