„Einen guten Roten erkennt man am Abgang“, scherzte der frühere österreichische Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzende Christian Kern. Am Samstag verkündete er seinen endgültigen Rückzug aus der Politik. Auf der Hochzeitsfeier von Gerhard Schröder am Freitag in Berlin sei die endgültige Entscheidung gefallen, heißt es. Erst am Samstag um 8 Uhr informierte Kern seine Nachfolgerin im Amt des SPÖ-Vorsitzes, Pamela Rendi-Wagner. Kern will nun doch nicht als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten bei der Europawahl antreten, obwohl er das bei seinem Rücktritt vom Parteivorsitz vor zwei Wochen angekündigt hatte.
Statt seiner wird der erfahrene Außenpolitiker Andreas Schieder den ersten SPÖ-Listenplatz bekommen. Es sieht aus wie ein Trostpflaster für den Parteilinken aus Wien. Schieder muss nämlich als Fraktionsvorsitzender zugunsten von Rendi-Wagner zurücktreten.
„Innenpolitisches Klein-Klein“
Kern erklärte, er habe versucht, ein breites Bündnis mit Liberalen und Grünen gegen die Allianz von Rechts in Europa zu schmieden. Dazu hat er auch internationale Netzwerke gepflegt. Er habe aber erfahren, „dass es als ehemaliger Regierungschef nicht möglich ist, die innenpolitische Bühne zu verlassen“. Die Diskussion über die Europawahl als „Schlacht aller Schlachten“ habe nicht im Vordergrund gestanden, sondern eine Fortsetzung des „innenpolitischen Klein-Kleins“. In Österreich wollte Kern eine gemeinsame Liste mit Grünen und Neos aufstellen. Auf der sollten auch unabhängige Kandidaten stehen. Das lehnt die SPÖ-Spitze entschieden ab. Besonders die Gewerkschaften stellten sich quer.
Die designierte Parteivorsitzende Rendi-Wagner ist selbst erst seit eineinhalb Jahren Mitglied der SPÖ und hat noch keine Hausmacht. Der innerparteilich wenig populäre Plan ihres einstigen Förderers Kern hätte ihre Wahl zur Parteivorsitzenden beim Parteitag im November gefährden können. Schließlich ist der Parteiapparat der SPÖ autoritärer strukturiert als der der deutschen SPD.
Pamela Rendi-Wagner muss die Basis für sich gewinnen
Rendi-Wagner muss deshalb als Quereinsteigerin jetzt alles dafür tun, SPÖ-Basis und Funktionäre für sich zu gewinnen. Sie tourt durch die Länder, denn dort hatten ihre ersten Personalentscheidungen für Unmut gesorgt. Von Kern emanzipierte sich Rendi-Wagner in den vergangenen Tagen. Auf die Frage, warum man ihr nach all den Turbulenzen in der SPÖ vertrauen solle, antwortete sie: „Weil ich nicht Christian Kern bin.“ Dass sie sich in demselben Interview nicht ausdrücklich für eine Erbschafts- und Vermögenssteuer aussprach, stieß umgehend auf die Kritik der Parteifunktionäre. Das zeigt, dass Rendi-Wagner keineswegs sicher im Sattel sitzt.
Zwar kalkulieren die roten Landeschefs mit Stimmenzuwächsen, weil sie jetzt mit der „ersten Frau an der Spitze der Sozialdemokratie“ in die Wahl ziehen können. Zur Zeit liegt die SPÖ konstant bei 27 Prozent. Sie erwarten, dass Rendi-Wagner im urbanen Milieu Kurz-Wähler anziehen könnte, die die Freiheitlichen als Koalitionspartner der ÖVP nicht akzeptieren. Doch auch die Kanzlerpartei ist in Umfragen stabil bei 33 Prozent. Sollte die neue SPÖ-Chefin keine Erfolge vorweisen, werden die sozialdemokratischen Urgesteine nicht zögern, sie zu stürzen.