Zum Auftakt des Parteitags der chinesischen Kommunisten steht der scheidende Parteichef Hu Jintao ganz im Schatten seines Vorgängers Jiang Zemin. Der 86 Jahre alte Patriarch hat seine Schützlinge in Position gebracht – und verhehlt seine Macht nicht mehr.
Totgesagte leben länger. Während die Marschmusik in der Großen Halle des Volkes ertönt, treten Chinas Führer zum Auftakt des Parteitages hinter dem roten Vorhang hervor auf das Podium. Direkt hinter Staats- und Parteichef Hu Jintao tritt plötzlich der frühere Präsident Jiang Zemin auf die Bühne. Der 86 Jahre alte Patriarch wird von einem Helfer am Arm gestützt, schüttelt ein paar Hände. Im vergangenen Sommer hatte eine Hongkonger Fernsehstation schon seinen Tod gemeldet. Heute setzt sich der einflussreiche Politiker an den langen Tisch des Präsidiums, links neben Hu Jintao, den Vorsitzenden – in China traditionell ein Ehrenplatz.
Die Symbolkraft der Sitzordnung
In den sorgfältig orchestrierten Ritualen eines Parteitages der chinesischen Kommunisten sind Reihenfolgen und Sitzordnungen nicht zufällig, sondern meist aussagekräftiger als lange Reden. So ist die Botschaft zur Eröffnung des 18. Parteikongresses am Donnerstag in Peking für die rund 2300 Delegierten eindeutig: Jiang Zemin zieht noch die Fäden. Zehn Jahre nach seinem Rückzug als Staats- und Parteichef scheint der 86-Jährige heute sogar mehr Macht als sein Nachfolger Hu Jintao zu haben, der jetzt mit 69 Jahren aus Altersgründen seinen Stuhl räumen muss.
„Er hat eine hohe Stellung“, kommentiert Professor Wu Qiang von der renommierten Qinghua Universität den demonstrativen Auftritt. „Die Mehrheit der heutigen Politbüromitglieder wird von Jiang Zemin unterstützt.“ Auch bei der Auswahl der neuen Führungsmannschaft, die nach Abschluss des Parteitages am 15. November vorgestellt wird, hat sich der Parteiveteran hinter den Kulissen durchgesetzt. Im neuen Ständigen Ausschuss des Politbüros, dem engsten Führungszirkel, werden wohl mehrheitlich Politiker sitzen, die ihm nahestehen.
Der scheidende Staats- und Parteichef Hu Jintao hatte schon seinen Schützling Li Keqiang nicht als Staats- und Parteichef durchsetzen können. Der 57-Jährige soll stattdessen im März neuer Regierungschef werden. Das Milliardenreich wird vielmehr künftig vom heutigen Vizepräsidenten Xi Jinping (59) geführt, den Jiang Zemin und seine Shanghai-Fraktion auf den Posten gehoben haben.
„Nach seinem Abschied wird Hu Jintaos Einfluss rapide schwinden“, glaubt Professor Wu Qiang. „Jiang Zemin wird weiter mächtig sein, wenn er gesund bleibt.“ Der Patriarch sei nicht zufrieden mit der Amtszeit von Hu Jintao gewesen. Seinen Nachfolger hatte er auch nicht selber, sondern noch der marktwirtschaftliche Reformarchitekt Deng Xiaoping persönlich für das Amt ausgewählt. Auch sucht Jiang Zemin nach Ansicht von Beobachtern heute noch einen angemessenen Platz für sich in der Geschichte. Er wolle in der Parteiverfassung neben Mao Tsetung und Deng Xiaoping stärker hervorgehoben werden.
An der Wand hinter dem Podium schweben Hammer und Sichel mächtig über den Parteiführern. In seiner letzten großen Rede als Parteichef verteidigt Hu Jintao sein Erbe gegen Kritik, seine Amtszeit sei für die eigentlich nötigen politischen und wirtschaftlichen Reformen ein „verlorenes Jahrzehnt“ gewesen. Der Bandwurm-Titel seiner – in deutscher Übersetzung 60 Seiten langen - Rede lautet: „Auf dem Weg des Sozialismus chinesischer Prägung unbeirrt vorwärts schreiten und für die umfassende Vollendung des Aufbaus einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand kämpfen.“
Der Machtkampf hinter den Kulissen in China steht im krassen Gegensatz zur Wahl in den USA, wo viele im Milliardenvolk am Vortag die Wiederwahl von Barack Obama gebannt mitverfolgt hatten. Die Delegierten des Parteitags, die die chinesische Machtelite repräsentieren, sehen aber wenig Anlass, dem amerikanischen Beispiel zu folgen: „Warum?“, fragt der Delegierte Cai Rang. „Warum sollten wir etwas ändern, wenn unser politisches und wirtschaftliches Modell gut funktioniert?“, sagt der 55-jährige Manager in der Metallindustrie. „Wir brauchen keine politische Reformen.“
Hu Jintaos Botschaften
Seine letzte große Rede hat der scheidende Staats- und Parteichef Hu Jintao auf dem Parteikongress gehalten. Die wichtigsten Botschaften:
Der Kampf gegen die Korruption ist überlebenswichtig für die Partei. Dabei ging Hu jedoch nicht konkret auf die letzten schweren Skandale ein.
Demokratischen Veränderungen nach westlichem Vorbild erteilte Jintao eine klare Absage. Er sprach wie immer vage von politischen Reformen.
Eine Einkommensverdoppelung trotz der schwächeren Konjunktur versprach Hu den Chinesen bis 2020.