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CLEVELAND
Chaotischer Republikaner-Parteitag
Dr. Jens Schmitz
Jens Schmitz
 |  aktualisiert: 30.07.2016 03:49 Uhr

„Stay safe“, pass auf Dich auf: So lautete der häufigste Gruß beim Parteitag der US-Republikaner in Cleveland. Polizisten und Militärs aus den gesamten USA patrouillieren durch die Innenstadt, ganze Straßenzüge sind für den Heimatschutz abgesperrt. Der frühere New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani ist so aufgebracht, dass er selbst ausländischen Journalisten vor seinem Hotel in den Block spricht: „Wir nähern uns der Anarchie, und dieser Präsident und sein Außenminister tragen einen Großteil der Verantwortung.“

Seit am Sonntag in Baton Rouge, Louisiana, drei Beamte erschossen wurden, hat sich die Angst vor Anschlägen noch einmal verstärkt. In Ohio ist öffentliches Waffentragen erlaubt. Demonstranten aller Couleur haben angekündigt, für ihr Verfassungsrecht öffentlich einzustehen; am Montag dreht die Rockergruppe „Bikers for Trump“ mit ihren Schießeisen ein paar Runden durch die Stadt.

„Make America Great Again“ (Macht Amerika wieder großartig) – das ist der Slogan, unter dem 50 000 Besucher Donald Trump hier zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten küren wollen, darunter mehrere Tausend Delegierte. Viele eint eine apokalyptische Untergangsstimmung. „Wir haben eine letzte Chance!“, warnte der bekannte Law-and-Order-Verfechter Giuliani.

Mit der Ordnung ist es zunächst aber nicht weit her. Die Parteiführung hat hart daran gearbeitet, ein harmonisches Bild zu präsentieren; es heißt, der Kandidat wolle sich auch persönlich staatstragender geben. Doch schon am Morgen reißt die Fassade: Trumps Chefberater attackiert im Fernsehen den gastgebenden republikanischen Gouverneur John Kasich, statt sich auf Trumps mutmaßliche Gegnerin Hillary Clinton einzuschießen. Viele Delegierte sehen ihre Hoffnung enttäuscht, dass Trumps Team sich je um Einigung bemühen wird. Und am Nachmittag herrscht offenes Chaos in der Arena.

Trump-Gegner hatten im Vorfeld mehrfach versucht, die Delegierten von ihrer Verpflichtung auf die Vorwahlergebnisse zu entbinden. Die Parteiführung hatte den Plan in den zuständigen Gremien erstickt. Nun wird aber bekannt, dass zehn Staaten und die Hauptstadt Washington beantragt haben, darüber im Plenum namentlich abzustimmen – vier mehr als nötig. Es ist ein Coup, der die Führung kalt erwischt.

Vizevorsitzender Steve Womack versucht einen Entscheid per Lautstärke und entscheidet das zweifelhafte Ergebnis zugunsten des Status quo. Prompt bricht die Halle in minutenlange Sprechchöre aus. „Namentliche Abstimmung!“, rufen die einen, „Wir wollen wählen!“ „USA, USA!“, brüllen die anderen. „Wir wollen Trump!“. Auch die Zuschauer auf den Rängen beteiligen sich, die eigentlich zum Schweigen verpflichtet sind. Besänftigende Musik kann die Aufregung so wenig dämpfen wie der Versuch, den nächsten Redner anzukündigen. Irgendwann ist die Bühne verwaist, niemand weiß, wo Womack geblieben ist – eine Situation ohne Vorbild. Pfiffe gellen. Als er nach einer Viertelstunde wieder erscheint, lässt Womack eine Bombe platzen: Nur neun Staaten hätten genug Delegiertenstimmen eingereicht, um den Antrag zu stützen.

Drei davon hätten sich allerdings wieder zurückgezogen, „also hat der Antrag nicht genug Unterstützung“. Es folgt erneut eine Abstimmung per Zuruf, die Womack wie gehabt deutet. Mit den beschlossenen Regeln ist Trump die Nominierung sicher.

Erst später stellt sich heraus, dass der behauptete Stimmenrückzug sehr kurzfristig erfolgte: Während Womacks Pause haben Mitarbeiter den Saal durchforstet, um Delegierte zur Rücknahme ihrer Unterschrift zu bewegen. „Die Regeln wurden einfach plattgewalzt“, schimpft Sue Sharkey (60), deren Colorado-Delegation den Saal aus Protest verlässt. „Sie haben die Mikrofone abgestellt. Und als wir Unterlagen einreichen wollten, war der Sekretär nirgends zu finden. Um es mit Trumps Worten zu sagen: Das System ist manipuliert.“ Mehr als 20 Redner marschieren im Folgenden auf, um zu bedrohlich wummernden Bässen Szenarien von Terror und Kriminalität zu beschwören – das Thema des Abends lautet „Macht Amerika wieder sicher“. Die Regie hat zahlreiche Durchschnittsbürger aufgetrieben, die Opfergeschichten erzählen: Mütter, deren Söhne von Immigranten getötet wurden, Grenzschützer, die gefallene Kameraden beklagen, einen Soldaten, der das Attentat auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi überlebte.

Trump, das stellen alle klar, ist ein „Geschenk Gottes“ oder mindestens ein „Held“ – bescheidener geht es nicht in einer Stadt, in der Superman erfunden wurde. Über konservative Werte und die traditionelle Ideologie spricht kaum jemand. „Es wäre gut, einen Commander in Chief zu haben, dem man beim Umgang mit geheimem Material vertrauen kann“, stichelt Senator Tom Cotton in Anspielung auf Hillary Clintons E-Mail-Affäre. Die Parteitagsregie hat Trump den Gedanken zwar ausgetrieben, an drei Abenden hintereinander Reden zu halten statt nur am letzten. Aber ganz kann er es dann doch nicht lassen: Um 22.20 Uhr tauchen Scheinwerfer die Arena in tiefblaues Licht, „We are the Champions“ erklingt, und Donald J. Trump schreitet auf überirdisch strahlender Bühne mit einer so entspannten Größe zum Pult, wie sie nur echte Showmenschen beherrschen. „Wir werden so gewaltig siegen!“, sagt Trump, der sekundenlang in der Begeisterung badet. Er ist aber nur hier, um seine Frau vorzustellen. „Ladies and Gentlemen, es ist mir eine große Ehre, die nächste First Lady der USA zu präsentieren – meine Frau, eine großartige Mutter, eine unglaubliche Frau – Melania Trump. Danke vielmals!“

Die scheue 46-Jährige, Trumps dritte Ehefrau, hat bislang im Wahlkampf nur Kurzauftritte gegeben. Die gebürtige Slowenin, die 2006 US-Staatsbürgerin wurde und nach einer Modelkarriere heute Uhren und Schmuck entwirft, sieht sich hohen Ansprüchen gegenüber: 2012 hatte Ann Romney, die Frau des damaligen Kandidaten Mitt Romney, die beste Rede des Konvents gehalten. Ihre sehr persönliche Ansprache hatte der Öffentlichkeit ihren spröde wirkenden Mann als Menschen erschlossen.

Melania Trump rühmt ihren Mann als herzensgut, patriotisch und loyal; dass er ein Machertyp ist, versteht sich von selbst. Jenseits solcher Allgemeinplätze lässt sie es aber an persönlichen Elementen fehlen – bis auf eine Passage, in der sie von ihrem Zuhause berichtet: „Meine Eltern haben mir vermittelt, dass man hart für das arbeitet, was man im Leben erreichen will, dass man sich an sein Wort hält und tut, was man sagt, und seine Versprechen einlöst, dass man Menschen mit Respekt behandelt.“

Dass Trumps Gattin ausgerechnet diese Werte betont, nachdem ihr Gatte vor allem für Lügen und Respektlosigkeiten in der Kritik steht, erstaunt. Sie versuche mit ihrem Mann auch dem gemeinsamen Sohn mitzugeben, „dass die einzige Grenze für Deine Ziele die Intensität Deiner Träume und Deine Bereitschaft ist, für sie zu arbeiten.“

Jetzt kommt es zu ersten Reaktionen im Netz: Menschen mit gutem Gedächtnis stellen schnell fest, dass zwei längere Passagen fast wörtlich einer Rede von Präsidentengattin Michelle Obama entstammen – aus dem Jahr 2008. In der Halle wird Melania mit Wärme gefeiert. Außerhalb nimmt der Spott seinen Lauf. Der politische Gegner ist nicht nur online, sondern auch organisatorisch besser aufgestellt: Die Clinton-Kampagne begleitet die Parteitagsredner live mit Statements und Richtigstellungen. Während der desorganisierte Konvent in Cleveland erst kurz vor Beginn ein Programm publizierte, liegt dasjenige für die demokratischen Konkurrenzveranstaltung nächste Woche längst vor.

Wegen des umstrittenen Kandidaten fehlen im Budget des Republikaner-Parteitags mehrere Millionen Dollar. „Es wird nicht einfach“, seufzt eine Teilnehmerin nach Mitternacht auf der Busfahrt in ihr Hotel. „Aber so etwas wie Bengasi und die E-Mail-Affäre haben die Demokraten gegen uns nicht in der Hand.“

 
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