Ein Loch klafft an der rechten Gesichtshälfte einer Skulptur der Marianne, der Symbolfigur Frankreichs, im Inneren des Pariser Triumphbogens. Der Souvenir-Laden ist verwüstet, an einer Außenmauer des Gebäudes haben sich die Täter verewigt: „Die Gelben Westen werden triumphieren.“ Es sind erschütternde Bilder, die von der Eskalation der Gewalt bei einem Aufmarsch der Bewegung der „Gelben Westen“ („Gilets jaunes“) am Samstag zeugen.
Bewegung radikalisiert sich
Demonstranten in neongelben Warnwesten und teilweise vermummt hatten sich dabei Straßenkämpfe mit den Sicherheitskräften geliefert. Sie warfen mit Steinen und Feuergeschossen und errichteten Barrikaden, woraufhin die Polizei Wasserwerfer und Tränengas einsetzte und so auch friedlich Demonstrierende gegen sich aufbrachte. Autos und Einsatzwägen wurden angezündet, Schaufenster mit Äxten und Metallstangen zertrümmert, Supermärkte geplündert. Die Feuerwehr musste Bewohner aus Häusern evakuieren, die an eine brennende Bankfiliale angrenzen. Am Abend vermengte sich an Frankreichs berühmtestem Kreisverkehr um den Triumphbogen schwarzer Feuerrauch mit den weißen Wolken von Tränengas. So war der dritte Aktionstag der „Gelben Westen“ eskaliert, jener Bewegung gegen Steuererhöhungen für Kraftstoff und generell mehr Kaufkraft. Diese hat sich spontan in den sozialen Netzwerken und abseits der etablierten Parteien und Gewerkschaften gebildet. Ging die Zahl der Demonstranten im Vergleich zum ersten Protesttag vor drei Wochen deutlich zurück, so hat sich die Bewegung radikalisiert. Dennoch wird sie bislang von einer großen Mehrheit der Franzosen unterstützt, auch als Sprachrohr einer allgemeinen Unzufriedenheit mit Präsident Emmanuel Macron. Nachdem es bereits in der Vorwoche zu Krawallen auf den Champs-Élysées gekommen war, sollte diesmal ein Großaufgebot von rund 5000 Einsatzkräften für Sicherheit sorgen, die 5500 Demonstranten gegenüberstanden. Die berühmte Prachtstraße vom Concorde-Platz zum Triumphbogen wurde für Autos gesperrt, Fußgänger nur nach Personenkontrolle durchgelassen.
Krisentreffen im Elysee-Palast
Doch nach ersten Zusammenstößen waren Polizisten und Gendarmen rasch überfordert, während sich die aufgebrachte Menschenmenge in andere Viertel von Paris verteilte. So wurden Gitter des Tuilerien-Parks beim Louvre heruntergerissen und mehrere Menschen verletzt. Laut Innenministerium wurden 412 Personen festgenommen, 133 waren verletzt, unter ihnen 23 Polizisten und Gendarmen. Auch in anderen Regionen des Landes kam es am Rande von friedlichen Demonstrationen zu Ausschreitungen. Ein Mann starb bei einem Unfall bei einer Straßenblockade bei Arles. Bereits am ersten Protesttag hatte es zwei Todesopfer gegeben. Am gestrigen Sonntag veröffentlichte die Gruppierung „freie Gelbe Westen“ einen Aufruf zu einer gewaltfreien und „konstruktiven Wut“: Sie wolle mit der Regierung verhandeln, um den Stopp der für Januar vorgesehenen Erhöhung der Ökosteuer auf Benzin und Diesel und generell Steuersenkungen zu erreichen. Präsident Macron hatte dies bisher ausgeschlossen und stellte lediglich eine Koppelung der Ökosteuer an den Weltölpreis in Aussicht. Die Gewalt nannte er inakzeptabel: „Sie hat nichts mit dem Ausdruck einer legitimen Wut zu tun.“ Am Sonntagvormittag traf Macron Feuerwehrleute und Polizisten in einem von den Verwüstungen besonders betroffenen Viertel, bevor er ein Krisentreffen im Élysée-Palast einberief. Für seine Teilnahme sagte Premierminister Édouard Philippe seine geplante Reise zum Klimagipfel COP24 in Polen ab. Zuvor hatte Innenminister Christophe Castaner gesagt, die Ausrufung des Notstandes sei „kein Tabu“, während die „Gelben Westen“ für nächsten Samstag einen „vierten Akt“ versprechen.