zurück
LONDON
Chaos bei britischen Konservativen
GERMANY-G7-SUMMIT-PRESSCONFERENCE       -  In der Zwickmühle: Großbritanniens Premier David Cameron
Foto: John MacDougall, afp | In der Zwickmühle: Großbritanniens Premier David Cameron
byl
 |  aktualisiert: 12.06.2015 19:31 Uhr

Im britischen Parlament ist es ein gewohntes Bild, dass sich Abgeordnete der regierenden Partei und jene der Opposition rhetorisch angreifen. Etwas mehr überraschte jedoch die Parlamentsabstimmung diese Woche über das Gesetz zum EU-Referendum. Die Streithähne gehörten einer Partei an: den konservativen Tories, die bei der Unterhauswahl Anfang Mai eine absolute Mehrheit erreicht haben.

Während also Außenminister Philip Hammond die proeuropäische Politik von Premierminister David Cameron verteidigte, schossen die rebellischen und unbändigen EU-Gegner aus den eigenen Reihen scharf zurück. Sie sorgten für Aufregung, nachdem sie sich am vergangenen Wochenende zu der Gruppe „Conservatives for Britain“ zusammengeschlossen hatten. Ihr Chef weilte währenddessen auf dem G7-Gipfel auf Schloss Elmau und sorgte in der Heimat mit seinen Äußerungen, er wolle Befürworter eines EU-Austritts nicht in seinem Kabinett dulden, für Entrüstung. Zwar ruderte Cameron kurz darauf zurück und sprach von „Fehlinterpretationen“ der Medien. Doch das Chaos innerhalb der Tory-Partei legte sich keineswegs.

„EU auf jeden Fall verlassen“

Beim Thema EU reagieren die Konservativen besonders sensibel. Zurzeit sprechen sich etwa 50 Parlamentarier in der Fraktion dafür aus, die EU auf jeden Fall zu verlassen – egal, was ihr Chef an Zugeständnissen in Brüssel erreicht. Weitere 50 Abgeordnete gelten als sehr EU-skeptisch und würden wohl für einen Austritt stimmen, falls Cameron nicht eine grundlegende Neuordnung des Verhältnisses Großbritanniens zur EU aushandeln kann. Wie diese aussehen soll, ist noch nicht klar definiert. Aber das dürfte den innerparteilichen Hardlinern gleichgültig sein. Sie bauen ganz bewusst unrealistische Erwartungen auf, die nur enttäuscht werden können.

Grob geht es bei Camerons Reformwünschen vor allem um die Bekämpfung des Sozialmissbrauchs von EU-Einwanderern, um eine Stärkung des Binnenmarkts sowie um mehr Souveränität. Innerhalb der Westminster-Mauern ist es populär geworden, den unbeliebten Grundsatz der „immer engeren Union“ zu geißeln. Für Beobachter mutet das mitunter absurd an, handelt es sich doch vor allem um einen symbolischen Begriff.

„Mein Eindruck ist, dass es eine politische Rhetorik des Leidens gibt“, sagte erst kürzlich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), während seiner Stippvisite in London. „Doch man muss den Nachweis bringen: Wie leiden wir eigentlich unter Europa?“ Tatsächlich wünschen sich zahlreiche Politexperten und auch Wirtschaftsvertreter eine Versachlichung der emotional geführten Diskussion auf der Insel. So ist es beispielsweise fast unmöglich, dass es in naher Zukunft zu Änderungen der EU-Verträge kommen wird.

Diplomatische Offensive

Cameron, der eine diplomatische Offensive gestartet hat und seit Wochen in Europa für eine Reform der EU wirbt, hat sich bereits unter anderem beim französischen Präsidenten François Hollande und bei der polnischen Ministerpräsidentin Eva Kopacz Absagen geholt.

Um sich innen- und außenpolitisch Spielraum zu gewähren, hält sich Cameron denn auch mit konkreten Forderungen an Brüssel zurück – zum Verdruss der europäischen Partner. „Die Bringschuld liegt bei den Briten, sie wollen Veränderungen“, so Röttgen.

Der Volksentscheid soll frühestens im kommenden Jahr und spätestens 2017 stattfinden. Der Druck auf Cameron ist jedoch bereits jetzt immens. Und wurde diese Woche noch verstärkt, nachdem der beliebte Londoner Bürgermeister Boris Johnson dem Premier empfahl, Ministern zu erlauben, in der EU-Frage ihrem Gewissen zu folgen. Manche Vorstellungen dieser Tage wirken wie Theater. Doch es ist eine Gratwanderung für alle Beteiligten, insbesondere für den Premier. Er muss seine Partei befrieden, in der bereits der Sturm aufgezogen ist und sich unaufhaltsam eine eigene Dynamik entwickelt – eine Dynamik, die die Grundfesten der EU tief erschüttern könnte.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Abgeordnete
Boris Johnson
Britisches Parlament
CDU
Chaos
Conservative Party
David Cameron
François Hollande
Norbert Röttgen
Parlamentsabstimmungen
Rhetorik
Tory
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen