Angela Merkel klopft sich erst einmal kräftig auf die eigene Schulter. Die Union habe bei der Bundestagswahl am 22. September kräftig zugelegt, von 33,8 Prozent auf 41,5 Prozent. „Das war der höchste Stimmenzuwachs einer Partei, den es seit 1953 gegeben hat – da war ich noch gar nicht geboren.“ 16 Millionen Bundesbürger hätten CDU und CSU gewählt, drei Millionen mehr als vor vier Jahren, in 14 von 16 Ländern sei man stärkste Partei gewesen, zudem habe man 236 von 299 Direktmandaten gewonnen. „Das ist ein einzigartiger Erfolg, ein riesiger Vertrauensbeweis und Vertrauensvorschuss.“
Nun aber, fast drei Monate später, gelte es, aus diesem Ergebnis etwas zu machen – eine handlungsfähige Regierung. „Jetzt haben wir fast drei Monate zur Regierungsbildung gebraucht. Jetzt muss endlich mal gearbeitet werden.“ Und darum steht Angela Merkel an diesem Montagmittag im Berliner Hotel „Intercontinental“ vor 167 Delegierten des Bundesausschusses, einem kleinen Parteitag, um für die Annahme des mit der SPD ausgehandelten Koalitionsvertrags zu werben. Eigentlich eine Formalie, reine Routine, die CDU will weiter regieren.
„Jetzt haben wir fast drei Monate zur Regierungsbildung gebraucht. Jetzt muss endlich mal
gearbeitet werden.“
Doch Angela Merkel muss ein Stück weit kämpfen, werben und verteidigen, haben sich doch pünktlich zum Parteitag der Wirtschaftsflügel der CDU und eine Gruppe junger Abgeordneter mit massiver Kritik an einzelnen Punkten des Koalitionsvertrages zu Wort gemeldet und mit ihrem Widerstand für Schlagzeilen gesorgt. Vor allem der flächendeckende Mindestlohn von 8.50 Euro und die Rente mit 63, beide auf Druck der SPD durchgesetzt, behagen vielen in der Union nicht.
Angela Merkel weiß dies und geht in ihrer Rede die Kritiker direkt an. Gerne hätte sie mit der FDP weiter regiert, doch dies sei nicht mehr möglich. Die Verhandlungen mit der SPD seien nicht einfach gewesen, man habe sich die Entscheidungen nicht leicht gemacht, viele Kompromisse seien ihr schwergefallen, gibt sie offen zu. Gleichwohl halte sie alle getroffenen Entscheidungen für vertretbar.
An die Adresse der Jungen weist sie speziell auf die Beschlüsse zur Erhöhung der Bundesmittel für Bildung und Forschung und den Einstieg in die Grundfinanzierung für die Hochschulen. Dies sei zukunftszugewandt und somit eine Unterstützung der jungen Menschen.
Dem Wirtschaftsflügel wiederum gibt sie zu bedenken, dass es weder Steuererhöhungen noch neue Schulden, die Deckelung des Arbeitgeberbeitrags zur Krankenversicherung und keine Bürgerversicherung gebe. „Da haben wir an die Belange der Wirtschaft gedacht.“ Mit einem schlichten Argument wirbt sie um die Zustimmung zur Koalition mit der SPD: „Mit diesem Programm gibt es eine gute Chance, dass es 2017 Deutschland und den Menschen besser geht als heute.“
In der lebhaften Debatte hält sich der Widerstand gegen den Koalitionsvertrag in Grenzen, einzelne Delegierte murren, gleichwohl überwiegt das „Ja, aber“. Vom Wirtschaftsflügel geben Kurt Lauk, der Präsident des Wirtschaftsrates, und Carsten Linnemann, der neue Chef der Mittelstandsvereinigung, ihre Kritik zu Protokoll, der Hohenloher Christian von Stetten dagegen, der Vorsitzende des Parlamentskreises des Mittelstandes der Unionsfraktion, ist erst gar nicht nach Berlin gekommen. Die schärfste Kritik am Vertrag formuliert Kurt Lauk. Er sehe die Gefahr, dass durch die Große Koalition die Wertschöpfung in Deutschland schwieriger und der Standort Deutschland belastet werde. Der Mindestlohn könne zum Anstieg der Arbeitslosigkeit führen. „Die Gefährdung von Arbeitsplätzen kann nicht Politik der Union sein.“
Und über die Mütterrente freue sich zwar seine Frau, nicht jedoch seine Kinder, die sie bezahlen müssten. „Wir sollten uns für die Zukunft entscheiden, nicht für die Vergangenheit.“
Doch das sind Einzelstimmen. Noch-Umweltminister Peter Altmaier verteidigt in einer leidenschaftlichen Rede die Beschlüsse zur Energiewende, die Vorsitzende der Frauen-Union, Maria Böhmer, lobt die Einführung der Mütterrente, dies sei der „Wahlkampfschlager der CDU“ gewesen, der Europa-Politiker Elmar Brok würdigt die großen Gemeinsamkeiten von Union und SPD in der Europa-, Sicherheits- und Außenpolitik, Finanz-Staatssekretär Steffen Kampeter verweist darauf, dass sich alle Flügel der Partei in dem Koalitionsvertrag wiederfinden könnten und selbst JU-Chef Philipp Mißfelder kündigt an, dem Vertrag zuzustimmen, auch wenn er die Aufweichung der Rente mit 67 für inhaltlich falsch halte.
Kurt Lauk,
Präsident des CDU-Wirtschaftsrates
„Wir wollen diese Koalition“, bringt es der frühere Chef der Sozialausschüsse, Karl-Josef Laumann, auf den Punkt, und auch der Bad Mergentheimer Wolfgang Reinhart, einst baden-württembergischer Bundesratsminister und Koordinator der CDU-geführten Länder, wirbt vehement um Zustimmung. „Was wäre eigentlich die Alternative zur Großen Koalition, vor allem mit Blick auf die Länder?“
So kommt es nach genau drei Stunden zur Abstimmung, die keine Überraschung mehr ist: 165 Delegierte stimmen dem Koalitionsvertrag zu, zwei enthalten sich. Und Nein-Stimmen gibt es keine einzige. Angela Merkel ist zufrieden. CDU und CSU haben das Tor zur Großen Koalition weit aufgemacht – jetzt muss nur noch die SPD-Basis Ja sagen, dann steht ihrer Wiederwahl am Dienstag in einer Woche nichts mehr im Wege.