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ESSEN
CDU-Parteitag: Eine Palastrevolte sieht anders aus
Parteitag: 89,5 Prozent sind kein Spitzenergebnis. Andererseits: Es hätte schlimmer kommen können für Angela Merkel. Die CDU geht sanft mit ihrer Chefin um. Und die versucht, es allen recht zu machen. Einige schießen aber trotzdem quer.
CDU-Bundesparteitag       -  Die CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ sich am Dienstag beim Bundesparteitag der CDU in Essen nach ihrer Rede feiern.
Foto: Kay Nietfeld, dpa | Die CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ sich am Dienstag beim Bundesparteitag der CDU in Essen nach ihrer Rede feiern.
Rudi Wais
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 14.12.2016 03:48 Uhr

Eine mitreißende Rednerin war Angela Merkel noch nie. Manchmal aber genügt schon ein Wort, um ein Publikum in Fahrt zu bringen. Ein Wort wie „Vollverschleierung“. 45 Minuten lang schleppt sich die Rede der Vorsitzenden bereits dahin, als diese zum ersten Mal den Nerv des Parteitages trifft. „Bei uns heißt es Gesicht zeigen“, mahnt die Kanzlerin etwas energischer, als es sonst ihre Art ist. „Deswegen ist die Vollverschleierung nicht angebracht, sie sollte verboten sein.“

In Wirklichkeit will die CDU muslimischen Frauen das Tragen einer Burka zwar nicht generell untersagen, sondern nur vor Gericht, im Straßenverkehr oder bei Polizeikontrollen. Für den Moment aber genügt den 1000 Delegierten im Saal schon die Aussicht, dass sich überhaupt etwas bewegt. So müde und pflichtschuldig sie Angela Merkel bisher applaudiert haben, so sehr feiern sie sie nun für diesen Satz. Bisher galt die Kanzlerin nicht als Anhängerin eines solchen Verbotes.

Essen, Gruga-Halle, Dienstagmittag. Neun Monate vor der Bundestagswahl will die CDU alles, nur keinen neuen Streit um die Flüchtlingspolitik. „Ich habe euch einiges zugemutet, weil uns die Zeiten einiges zumuten“, hat die Parteichefin gerade eingeräumt. „Das weiß ich sehr wohl.“ Bei der Aussprache nach ihrer Rede allerdings dominieren dann die versöhnlichen Töne, obwohl sie selbst sagt, sie könne nicht versprechen, dass die Zumutungen jetzt weniger würden. Paul Ziemiak etwa, der sonst so kritische Vorsitzende der Jungen Union, schwärmt von der neuen Geschlossenheit in der CDU. Die baden-württembergische Abgeordnete Anette Widmann-Mautz, seit langem eine bekennende Merkel-Verehrerin, rühmt die Aufrichtigkeit und die Uneitelkeit der Bundeskanzlerin und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier die Kultur des Respekts, die die CDU von den Krawallmachern und den Populisten im Lande unterscheide.

Die wenigen Redner, die Angela Merkels Flüchtlingspolitik für eine ganze Serie verlorener Landtagswahlen verantwortlich machen oder ihre Entscheidung kritisieren, keinen eigenen Kandidaten für die Wahl des neuen Bundespräsidenten ins Rennen geschickt zu haben, sprechen vor einem nahezu leeren Saal. Der Parteitag hat sich in weiten Teilen in die Mittagspause verabschiedet. So verhallt auch der Vorwurf der baden-württembergischen Delegierten Christine Arlt-Palmer im Nichts, die CDU habe es zugelassen, „dass sich am rechten Rand die AfD gebildet hat“. Dieses Terrain, fürchtet sie, „werden wir nicht zurückgewinnen“. Ein anderer Delegierter, ebenfalls aus dem Südwesten, springt ihr zur Seite: „Links gewinnen wir wenige Wähler, rechts verlieren wir viele.“

Eine Palastrevolte aber sieht anders aus. Mit handgestoppten elf Minuten Beifall haben die Mitglieder ihre Parteivorsitzende zuvor für eine knapp 80-minütige Rede gefeiert, in der sie von der Rente über die Pflege und die geplanten Steuersenkungen bis zur Digitalisierung praktisch nichts ausgelassen hat, was die deutsche Politik im Wahljahr 2017 beschäftigten wird. Die neue Konkurrenz von der AfD aber erwähnt sie nicht einmal.

Elf Minuten Applaus – das ist ein sicheres Indiz dafür, dass ihr Ergebnis bei der Neuwahl der Parteispitze am Nachmittag irgendwo im Bereich der 90 Prozent liegen wird, wenn nicht gar darüber. Am Ende sind es dann zwar „nur“ 89,5 Prozent, das zweitschlechteste Ergebnis ihrer bisherigen Amtszeit. Nach einem turbulenten Jahr für die CDU aber ein Dämpfer, den Angela Merkel verschmerzen kann. „Ich freue mich über das Ergebnis“, sagt sie demonstrativ. „Ich nehme die Wahl an.“ Mehr als 16 Jahre CDU-Chefin, elf Jahre Kanzlerin: „Man kann es“, staunt sie, „kaum glauben.“

Auf ihre Flüchtlingspolitik lässt die Kanzlerin auch in Essen nichts kommen. Es habe sich um eine „besondere humanitäre Notlage“ gehandelt, verteidigt sie sich. „Niemand verlässt leichtfertig sein Land.“ Gleichzeitig aber beteuert sie auch: „Nicht alle, die gekommen sind, können und werden bleiben.“ Zustände wie im Spätsommer vergangenen Jahres könnten und dürften sich nicht wiederholen.

Natürlich weiß auch die Vorsitzende der CDU, wie tief die Skepsis in der Partei ist, wie groß die Sorge vieler Menschen ist, irgendwann fremd im eigenen Land zu sein, wie sehr Ereignisse wie der Mord an einer Studentin in Freiburg, begangen vermutlich von einem 17-jährigen afghanischen Flüchtling, das Land aufwühlen. Und deshalb, so scheint es zumindest, passt sie ihre Tonlage auch etwas den Erwartungen an.

Die Schlepper im Mittelmeer? „Skrupellose Verbrecher.“ Das umstrittene Rücknahmeabkommen mit der Türkei? „Rettet Leben.“ Und überhaupt: „Es gibt kein Zurück in die Welt vor der Globalisierung.“ Für eine Frau, die sich sonst gerne in ihren Schachtelsätzen verliert, formuliert Angela Merkel diesmal erstaunlich plakativ. „Wer das Volk ist“, sagt sie einmal an die Adresse ihrer Kritiker, namentlich die in den Tiefen des Internets, „bestimmen wir alle, nicht ein paar wenige, und mögen sie auch noch so laut sein.“ Rückblende. Ebenfalls Essen, ebenfalls Gruga-Halle, es ist der 10. April 2000. Der CDU stecken noch die Wahlniederlage 1998 und der Spendenskandal in den Knochen, als die damalige Generalsekretärin Angela Merkel ans Rednerpult tritt.

Mit kühler Präzision hat sie mit ihrem ehemaligen Mentor Helmut Kohl gebrochen. Dass sein Nachfolger Wolfgang Schäuble ebenfalls noch über eine Parteispende stolpert, ist zwar ein glücklicher Zufall. Aber er macht den Weg frei für den Aufstieg von Kohls einstigem „Mädchen“ zur vielleicht mächtigsten Frau der Welt. Mit 95,9 Prozent wählt die CDU die Pfarrerstochter aus der Uckermark in Essen zur neuen Vorsitzenden, ein Ergebnis, das Vorschuss und Hypothek zugleich für sie ist. Ein Ergebnis aber auch, das die Sehnsucht in der Union nach einem Neuanfang ausdrückt wie keine Wahl seitdem. Als die Delegierten sich auf den Heimweg machen, dröhnt der Hit „Angie“ von den Rolling Stones durch die Halle. „Es kann doch nicht sein“, sagt Angela Merkel damals, ein knappes Jahr vor der Einführung des Euro, „dass in einem Europa der gleichen Währung und der gleichen Wirtschaftsbedingungen die Belastungen durch Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge völlig unterschiedlich verteilt sind.“ Eine Politik nach Lust und Laune, fügt sie dann noch hinzu, die mal Zuwanderung betreibe und mal beklage, dass zu viele Menschen kämen – „eine solche Politik werden wir nicht dulden.“

Nun allerdings werfen ihre Gegner ihr genau das vor: Dass zu viele Menschen kommen, dass ihr die Dinge entglitten sind und dem Staat die Kontrolle, dass sie ihre Partei so weit nach links geführt hat, dass der Grüne Winfried Kretschmann sie inzwischen in seine Nachtgebete einschließt. Angela Merkel selbst dagegen sieht vor allem Europa in der Pflicht. Die Solidarität der anderen EU-Länder bei der Aufnahme und dem Verteilen von Flüchtlingen, warnt sie in ihrer Rede, „lässt mehr als zu wünschen übrig“.

Auf Initiative des baden-württembergischen Innenministers Thomas Strobl, im Zweitberuf stellvertretender CDU-Vorsitzender, verschärft die Partei in Essen die Diktion ihres Leitantrages, einer Art Blaupause für das Wahlprogramm. Strobl hat unter anderem vorgeschlagen, die Abschiebehaft für abgelehnte Asylbewerber auszuweiten und ihnen die Sozialleistungen zu kürzen. Flüchtlinge, die im Mittelmeer gerettet werden, sollen nach seinen Plänen sofort in sogenannte Rückführungszentren nach Ägypten gebracht werden und nicht mehr nach Italien oder noch weiter nach Deutschland. Es ist der Versuch, der Basis mit einer Politik der neuen Kompromisslosigkeit etwas von ihren Zweifeln zu nehmen. Strobls Wahlergebnis von knapp 74 Prozent fällt trotzdem etwas schlechter aus als vor zwei Jahren.

Volker Bouffier, der Hesse, ist ebenfalls einer von Angela Merkels Stellvertretern und hat ebenfalls einen Ruf als strammer Konservativer zu verteidigen. „Warum sprechen wir es nicht klar aus?“, fragt er in den Saal. „Viele Menschen sorgen sich, ob wir den Weg in ein islamisches Land gehen.“ Seine klare Antwort aber sei: „Nein. Wir sind kein islamisches Land und wollen es auch nicht werden.“ Die Pfälzerin Julia Klöckner erklärt es am Beispiel des Burka-Verbotes: Wenn ein muslimischer Mann es in Deutschland nicht ertragen könne, eine Frau anzusehen, „dann soll er sich eine Augenbinde kaufen, anstatt die Frau zwangszuverhüllen“.

So hat sich die CDU unter Angela Merkel entwickelt

Parteivorsitz: Angela Merkel wuchs in der DDR auf und kam erst mit der Wende in die Politik. Im April 2000 wurde sie in Essen mit 95,9 Prozent der Delegiertenstimmen zum ersten Mal zur CDU-Vorsitzenden gewählt. Gestern hat die CDU Merkel zum neunten Mal in das Amt gewählt – wieder in Essen. Am schlechtesten schnitt sie 2004 mit 88,4 Prozent ab, am besten 2012 mit 97,9 Prozent. Nun hat sie 89,5 Prozent erhalten. Mitgliederentwicklung: Die Zahlen gehen bei der CDU wie bei der SPD seit Jahren zurück. Der Mitgliederstand der SPD fiel 2008 unter den der CDU. Seitdem liegt mal die eine, mal die andere Partei vorn. Derzeit hat die CDU etwa 435 000 Mitglieder, bei der SPD sind es rund 445 000. Bundestagswahlen: Merkel stand von 2002 bis 2005 auch an der Spitze der CDU/CSU-Fraktion, die unter ihrer Führung bei der Bundestagswahl 2005 erstmals seit 1998 wieder stärkste Fraktion wurde. Bei der Wahl 2013 verpassten CDU und CSU nur knapp die absolute Mehrheit. Kanzlerin: Am 22. November 2005 wurde Merkel zur ersten deutschen Bundeskanzlerin ernannt. Sie führte zunächst eine Koalition von Union und SPD, dann von 2009 bis 2013 ein schwarz-gelbes Bündnis und seitdem wieder eine schwarz-rote Regierung. Bundespräsidenten: Zweimal gaben während Merkels Amtszeit von ihr mitausgesuchte Bundespräsidenten vorzeitig auf: 2010 Horst Köhler und 2012 nach knapp 20 Monaten sein Nachfolger Christian Wulff. Den nun scheidenden Präsidenten Joachim Gauck brachten zuerst SPD und Grüne ins Gespräch, bevor sich Merkel anschloss. Nachfolger von Gauck soll Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) werden, den die Sozialdemokraten vorgeschlagen haben. Merkel willigte nach Wochen ein. DPA/AFP
 
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