Am Bundeswehr-Camp Marmal im nordafghanischen Masar-i-Scharif läuft am Freitag der Check-In für den Militärflug nach Kabul. Mit gedämpfter Stimme fragt der Mann am Schalter Reisende, ob sie Probleme damit hätten, dass ein Sarg im Passagierraum der zweimotorigen Propellermaschine mitfliegt. Die Bundeswehr hält Zinksärge in Afghanistan für etwaige Gefallene auf Vorrat. Dieser ist für einen Zivilisten, für den Deutschen, der am Donnerstag bei einem Selbstmordanschlag in Kabul getötet wurde.
Ein erst 16 Jahre alter Attentäter hatte sich in der Aula einer Schule, in der auch das französische Kulturinstitut untergebracht ist, während eines Theaterstücks in die Luft gesprengt (wir berichteten). Der bei dem Anschlag getötete Deutsche hatte für eine örtliche Hilfsorganisation gearbeitet, wie das Auswärtige Amt am Freitag bestätigte. Auch unter den vielen Verletzten ist ein Bundesbürger. Der Titel des Stücks lautete ausgerechnet „Herzschlag und Stille nach der Explosion“. Die Taliban sahen darin eine „unmoralische Aufführung“ – so begründeten sie ihren Anschlag in der Hauptstadt, der international für Entsetzen sorgte.
Wegen der Bluttat fliegen am Freitag zehn Bundeswehr-Angehörige auf der niederländischen Maschine vom Typ Dash 7 nach Kabul, in deren hinterem Teil der noch leere Sarg am Boden neben den Sitzen festgezurrt ist. Unter den Deutschen ist ein Arzt, der den Totenschein ausstellen soll. Der ranghöchste deutsche Militärpolizist in Afghanistan, ein Feldjäger-Major, führt die Delegation, um deren Unterstützung die deutsche Botschaft in Kabul gebeten hat.
Die Feldjäger sind zugleich Ermittler. Theoretisch kann die Staatsanwaltschaft eigene Experten aus Deutschland nach Afghanistan entsenden, um den Fall zu untersuchen. Wahrscheinlich ist das nicht: Der Mörder des Deutschen ist tot, und die Chancen, die Hintermänner zu fassen, liegen nahe null. Besonders den Feldjägern und dem Sanitätspersonal stehen in Kabul schwere Aufgaben bevor: Die Leiche muss begutachtet und für den Transport hergerichtet werden. Erst dann kann der in Holz gefasste Zinksarg verlötet und der Tote überführt werden.
Damit die Soldaten mit der Belastung nicht alleine gelassen werden, sind die Militärseelsorgerin und die Truppenpsychologin mit nach Kabul geflogen. „Meine Aufgabe ist es, die Kameraden zu begleiten“, sagt die evangelische Pfarrerin Barbara Reichert. Sie wolle Rückhalt geben und ihnen „Geländer und Klagemauer“ sein.
Psychologin Tatjana Q. sagt: „Es wird außergewöhnlich belastend für die Soldaten, die mit dem Toten konfrontiert werden.“ Die unmittelbare Folge könne etwa ein psychischer Schock sein. „Ansonsten stellen sich viele Sachen im Nachhinein ein: schlechte Träume, Appetitlosigkeit, Aufgeregtheit, Nervosität.“ Auf dem Hinflug habe der noch leere Sarg noch eher wie ein großes Gepäckstück gewirkt. „Wenn wir mit ihm zurückfliegen, ist das kein gutes Gefühl mehr.“
Die Psychologin und die Pfarrerin warten am Ankunftsterminal auf die Rückkehr der Soldaten, die ins Krankenhaus auf dem militärischen Teil des Kabuler Flughafens gegangen sind. Dorthin hat ein amerikanisches Armeefahrzeug den Sarg gefahren. Dort liegt die Leiche des Deutschen, die nun schnell zurück nach Deutschland gebracht werden soll. Möglicherweise bereits mit dem nächsten Truppentransport nach Hause – dem grauen Luftwaffen-Airbus, der diesen Samstagabend Masar-i-Scharif in Richtung Heimat verlässt.