Es geschah in Afghanistan. Soldatinnen und Soldaten des neuen Kontingents, die ihre Kameraden ablösen sollten, mussten unverrichteter Dinge wieder nach Haus fliegen. Denn für einen kurzen Augenblick waren zu viele Soldaten am Hindukusch, die im Mandat festgelegte Obergrenze wurde deutlich überschritten. Erst als genügend Angehörige der Bundeswehr das Land verlassen hatten, konnte das neue Kontingent wieder eingeflogen werden. „Das ist doch Nonsens“, ereifert sich Volker Rühe (CDU), von 1992 bis 1998 Verteidigungsminister unter Kanzler Helmut Kohl (CDU).
Damit sich so etwas nicht wiederholt, empfehlen er und der frühere SPD-Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Walter Kolbow (Würzburg), dass Bundestag und Bundesregierung künftig bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr keine strengen Obergrenzen mehr festschreiben, zudem sollten auch das Einsatzgebiet und der Auftrag nicht allzu eng gefasst werden. „Man braucht Reserven, man braucht Spielraum, man braucht Flexibilität“, sagt der Ex-Verteidigungsminister am Dienstag, nachdem er Bundestagspräsident Norbert Lammert seinen 54-seitigen Abschlussbericht überreicht hat.
Gut 14 Monate ging eine von Rühe und Kolbow geleitete Expertenkommission im Auftrag des Bundestags der Frage nach, ob das Recht des Bundestages, über alle bewaffneten Auslandseinsätze von deutschen Soldaten zu entscheiden, Missionen der Vereinten Nationen, der Nato oder der EU in unverhältnismäßiger Weise verzögert oder gar blockiert.
Das Ergebnis der Kommission, in die allerdings nur die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD Vertreter entsandt hatten, fiel eindeutig aus: „Das Parlament ist kein Hindernis“, so Rühe. Seit 1994 habe die Regierung 138 Anträge zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte gestellt, denen der Bundestag ohne Ausnahme zugestimmt habe. Zahlreiche Mandate hätten dabei sogar Stimmen aus dem jeweiligen Oppositionslager erhalten. Auch zeitliche Verzögerungen bei internationalen Einsätzen habe es wegen des deutschen Parlamentsvorbehalts in keinem Fall gegeben.
An den Mitwirkungsrechten des Parlaments soll sich nach den Vorstellungen der Kommission daher im Grundsatz auch nichts ändern. Im Gegenteil, geht es nach Rühe und Kolbow, soll die Rolle des Parlaments sogar gestärkt werden, im Gegenzug schlägt sie aber auch vor, einige Hürden deutlich zu senken, um auf diese Weise der Regierung mehr Handlungsspielraum zu gewähren. So soll der Bundestag künftig nur noch über bewaffnete Einsätze befinden, dagegen sollte die Regierung im Alleingang eine Beteiligung der Bundeswehr an Erkundungs- und Vorauskommandos, humanitären Einsätzen und logistischer Unterstützung ohne Bezug zu Kampfhandlungen sowie Ausbildungsmissionen beschließen können. Zudem sollte die Regierung auch freie Hand beim Einsatz von Führungspersonal in Hauptquartieren und Stäben haben – „sofern sie sich dabei nicht im Gebiet eines bewaffneten Konflikts befinden oder dort eingesetzte Waffen unmittelbar bedienen“.
Mit Blick auf die zahlreichen deutschen Soldaten in multinationalen und integrierten Verbänden schlägt die Kommission vor, dass die Bundesregierung dem Parlament jährlich einen Bericht vorlegt, welche Einheiten derartigen Verbänden angehören und auf welche Fähigkeiten der Bundeswehr die Bündnispartner in der Nato angewiesen seien und wo eine Beteiligung deutscher Soldaten unverzichtbar sei. „Es geht um die Verantwortungsfähigkeit Deutschlands im 21. Jahrhundert“, sagte Kolbow.
Nach der Sommerpause wird sich der Bundestag mit den Vorschlägen der Kommission befassen. Die Linkspartei hat schon angekündigt, der Senkung der Hürden nicht zustimmen zu wollen. „Mit diesen Ausnahmekategorien wird der Parlamentsvorbehalt zum Schweizer Käse“, sagt Verteidigungsexperte Alexander Neu.