Immer wieder gibt es Zwist zwischen Bern und Berlin. Erst der damalige SPD-Finanzminister und spätere Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der im Steuerstreit die Kavallerie schicken will. Der Fluglärmstreit mit dem Südwesten ist ungelöst. Und dann noch der Schock in Deutschland und der EU, als Anfang Februar in der Schweiz eine knappe Mehrheit in einem Akt der direkten Demokratie für eine Begrenzung von „Massenzuwanderung“ stimmt.
Die Schweizer Erwartungen an den ersten offiziellen Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck waren hoch. Und dementsprechend intensiv waren die Schmeicheleien, mit denen der im Nachbarland für seine besonnene Art geschätzte Ostdeutsche empfangen wurde. Bundespräsident Didier Burkhalter bot dem „lieben Joachim“ gleich beim ersten Kaffee das Du an, was der Ältere leicht amüsiert akzeptierte. Später schwärmte Burkhalter über Gauck, es sei „einfach ein Vergnügen, mit ihm zu sprechen. Es war spannend.“
Das kann man sagen. Gauck war mit der festen Absicht nach Bern gereist, die traditionelle Freundschaft zwischen Deutschen und Schweizern zu unterstreichen – gerade wegen der so angespannten Lage. Dem Klima des Misstrauens, so das Kalkül, rasch etwas entgegenzusetzen. Deswegen verlegte Gauck seinen eigentlich erst in der zweiten Jahreshälfte geplanten Schweiz-Besuch sogar extra vor.
Gegen neue Mauern
Kurz vor der Reise hatte der Bundespräsident dem Fernsehpublikum in der Schweiz seine Motivlage beschrieben. Schon als Zwölfjähriger Schüler habe er über den legendären Freiheitshelden Wilhelm Tell gelesen und es wunderbar gefunden, „dass es Helden gibt, die sich gegen Diktaturen auflehnen“. Seitdem sei er den Menschen in der Alpenrepublik freundschaftlich verbunden.
Im kleinen Kreis oder am Abend vor Vertretern von Wirtschaft und Gesellschaft – Gaucks Botschaft ist ermunternd: Seit langer Zeit hätten die Schweizer mit ihrer Bereitschaft, bei allen Unterschieden für gemeinsame Ziele und Werte zu arbeiten, die europäische Idee „auf wunderbare Weise vorweggenommen“. Im Klartext heißt das: Ihr gehört eigentlich zu uns, zur EU. Und ihr dürft keine neuen Mauern bauen, gerade nicht in Zeiten der Globalisierung.
Und dann legt der Bundespräsident den Ball ganz undiplomatisch direkt ins Feld der Eidgenossen: Für die sei es schon eine große diplomatische Herausforderung, dafür zu sorgen, dass die Zusammenarbeit mit der EU nicht geschwächt werde. Burkhalter gibt freundlich, aber bestimmt zurück: „Etwas mehr Schweiz in Europa würde ich mir schon wünschen.“ Er weiß: Seine Bevölkerung hätte es gar nicht gerne, wenn die Regierung versuchen würde, die von ihr abgelehnte Volksinitiative „Massenzuwanderung“ durch ein zweites korrigierendes Plebiszit auszuhebeln: „Dann könnten auch 70 oder 80 Prozent Nein sagen.“
Ermutigende Signale
Doch Gauck lässt durchblicken, dass er bei seinen Gesprächspartnern Interesse spürt, „dass beieinanderbleibt, was zueinandergehört“. Erstaunlichen Optimismus machen sie in der deutschen Delegation bei ihren Gegenübern aus, fast so, als hätten die schon eine geheime Kompromisslösung für die EU in der Schublade. Und es wird die Erwartung registriert, dass Berlin in der EU dafür werbe, die Schweiz enger an die Gemeinschaft zu führen. Gauck sendet seinen Gastgebern auch hier ein ermutigendes Signal: Er werde sich „immer wünschen, dass die Schweizer Teil der EU werden“.