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BERLIN
Bundesagrarminister Christian Schmidt zum Umgang mit Armutsmigranten
reda
 |  aktualisiert: 11.01.2016 11:48 Uhr

Die CSU wollte polarisieren – und es ist ihr gelungen. Mit ihrem Slogan „Wer betrügt, fliegt“, haben die Christsozialen Anfang des Jahres eine Diskussion über den Umgang mit sogenannten Armutsmigranten angezettelt – Menschen, die sich angeblich nur wegen der deutschen Sozialleistungen auf den Weg in die Bundesrepublik machen. In dem daraufhin in Auftrag gegebenen Bericht findet sich allerdings nicht mehr viel von den Wünschen der CSU. Agrarminister Christian Schmidt hat die Verhandlungen für seine Partei koordiniert.

Frage: Herr Schmidt, für eine Politik nach dem Motto „Wer betrügt, der fliegt“ gibt es in der Koalition keine Mehrheit. Ist die CSU sehenden Auges in eine Niederlage gerannt?

Christian Schmidt: Wer redet denn von so was? Die CSU hat ihre Kernanliegen in die Koalition eingebracht und breite Unterstützung und Anerkennung gefunden. Ich habe den Eindruck, dass diese richtige und im Kern erfolgreiche Initiative für manche nur einen „Makel“ hat: nämlich dass sie von der CSU und nicht von anderen auf die Tagesordnung gesetzt worden ist. Der Bericht, der zwischen allen Ministerien der Bundesregierung abgestimmt ist, trägt alle Hauptanliegen der CSU. Das wird klar an drei Beispielen: Zukünftig können im Missbrauchsfall befristete Einreisesperren ausgesprochen werden. Die Aufenthaltsdauer zur Jobsuche wird auf sechs Monate befristet. Die Beschaffung von Aufenthaltsbescheinigungen durch falsche Angaben wird unter Strafe gestellt.

Die Wiedereinreise von EU-Bürgern soll nur in besonders schweren und wiederholten Fällen untersagt werden. Was sind das für Fälle?

Schmidt: Uns geht es darum, Betrug und Missbrauch der Freizügigkeit zu erschweren oder zu verhindern. Dabei gilt auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Falschparken reicht nicht. Wer aber vorsätzlich trickst, kann nicht mehr darauf hoffen, dass ihm ja sowieso nichts passiert. Deshalb wird die Beschaffung von Aufenthaltskarten oder anderen Aufenthaltsbescheinigungen durch unrichtige oder unvollständige Angaben künftig unter Strafe gestellt. Außerdem werden wir das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche befristen. Wer hier von Anfang an keine Arbeit findet oder überhaupt keine sucht, der muss unser Land wieder verlassen und hat keinen Anspruch auf Sozialleistungen.

Sie wollen das Kindergeld für Kinder, die nicht in Deutschland leben, kürzen. Sind vor dem Gesetz nicht alle Kinder gleich?

Schmidt: Völlig klar: Jede Person, die Freizügigkeit genießt, hat Anspruch auf Kindergeld. Die Kinder, für die Kindergeld geleistet wird, müssen selbst nicht in Deutschland leben, es genügt ein Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Die Kinder müssen dann so behandelt werden, als würden sie im Inland leben. Aber wir werden nun prüfen, inwieweit wir das Kindergeld an die Lebenshaltungskosten am Wohnort des Kindes anpassen können. Missbrauch wollen wir vermeiden dadurch, dass wir Kindergeld nur noch nach eindeutiger Identifikation zahlen. Insgesamt werden wir sehr viel genauer hinschauen, wer da Kindergeld beantragt. Auf lau geht nichts mehr.

Wenn Sie die Höhe des Kindergeldes von den Lebenshaltungskosten abhängig machen, müssten Sie für Kinder in München oder Hamburg auch ein höheres Kindergeld zahlen als für Kinder im Bayerischen Wald oder in der Eifel. Ist das nicht ein absurdes Argument?

Schmidt: Die Unterschiede zwischen Eifel und München sind bei weitem nicht so gravierend wie zwischen Hamburg und Rumänien. Im Übrigen lade ich herzlich in den dynamischen Bayerischen Wald ein. Dort werden Arbeitskräfte, die arbeiten wollen, gesucht.

Welche Lehren zieht die CSU aus dieser Niederlage?

Schmidt: Wo keine Niederlage ist, sind auch keine Lehren zu ziehen. Außer der, dass mancher Erfolg erst mit der Zeit so allgemein angenommen wird, wie wir das beim Betreuungsgeld erlebt haben. Foto: dpa

Erziehungswissenschaftler: 90 Prozent der Migranten geht es nicht um Sozialleistungen

Nach den Worten des Dortmunder Erziehungswissenschaftlers Ahmet Toprak geht es Migranten nicht um die Sozialleistungen in der Bundesrepublik. „Bei der Einreise haben Migranten nicht die Intention: Ich gehe nach Deutschland, um das Kindergeld oder Hartz IV in Anspruch zu nehmen“, sagte er den Dortmunder „Ruhr Nachrichten“. Vielmehr wollten 90 Prozent der Migranten durch Arbeit Geld verdienen und ihre Familie ernähren. Bei der Integrationspolitik steht Deutschland nach Ansicht Topraks noch am Anfang: „Wir haben erst seit 50 Jahren Erfahrung mit Migration.“ Und in dieser Zeit ließen sich nicht alle Probleme lösen. Frankreich oder die USA hätten bereits seit über 200 Jahren Migration und „noch mehr Probleme als Deutschland“. Zugleich kritisierte der Professor an der Fachhochschule Dortmund, dass in Deutschland Migranten nicht willkommen sind. „In anderen Ländern sagt man: Migration nützt uns. Und hier ist der Tenor: Migration ist schädlich.“ Migrationspolitik sei hierzulande eher „Migrationsverhinderungspolitik“. Migranten legen laut Toprak viel Wert auf Bildung. Dies werde immer unterschätzt. Zugleich hänge Integration außer von der sozialen Lage wesentlich auch davon ab, dass das Bildungsniveau der Migranten angehoben werde. So könnten sie an hochwertigere Arbeitsplätze und mehr Kapital kommen. Topraks Forschungsschwerpunkte sind Migration, Integration und konfrontative Pädagogik. Text: KNA

 
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