Die Zeit der Geheimgerichte ist vorbei. Auch wenn die Wirtschaftsminister der EU sich am gestrigen Donnerstag in Brüssel noch nicht endgültig festlegen wollten, so zeichnete sich doch bereits ab, dass die bisherige Praxis in internationalen Handelsabkommen keine Zukunft hat. „Was wir bisher machen, lässt zu viel Spielraum für Missbrauch und ist nicht transparent genug“, hatte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström schon vor dem Treffen mit Blick auf die Regelungen zur Streitschlichtung eingeräumt. Noch bis zum Herbst will sich die EU-Behörde Zeit lassen, ehe sie einen konkreten Alternativvorschlag präsentiert.
Doch auch im Kreis der Handelsminister wurde bereits deutlich, wohin der Weg läuft: „Die EU sollte die Schaffung eines permanenten Gerichtes vorantreiben“, beschrieb Malmström ihre Idee. Ein solcher Hof würde öffentlich tagen und Berufungen zulassen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte bereits am Wochenende einen ähnlichen Vorschlag nach Brüssel geschickt, der mit den sozialdemokratischen Staats- und Regierungschefs abgestimmt worden war.
Hinter den Kulissen hieß es am Donnerstag, ein solches Gremium könne – etwa nach dem Vorbild des Internationalen Strafgerichtshofes der Vereinten Nationen in Den Haag – eine dauerhafte Einrichtung sein. Diese gehe nach den demokratischen Spielregeln vor, wie bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit in den Mitgliedstaaten.
Malmström stieß am Mittwoch bei einer Anhörung im Europäischen Parlament allerdings nicht nur auf Zuspruch. Während der CDU-Handelsexperte in der EU-Volksvertretung, Daniel Caspary, von einem „Schritt in die richtige Richtung sprach“, monierte der Chef des Handelsausschusses in der Abgeordnetenkammer, Bernd Lange (SPD), inhaltliche Fehler. Der deutsche Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig, der Gabriel bei den Beratungen in Brüssel gestern vertrat, nannte Malmströms Ausführungen „noch nicht einigungsfähig“. Es sei „allerdings positiv, dass es Bewegung“ gebe. Die Ministerin selbst räumte ein, es werde zu ihrem Kompromiss „sicherlich noch viele weitere Verbesserungsvorschläge“ geben. Die wolle die Kommission berücksichtigen.
Der bisherige Investorenschutz (ISDS-Klauseln), mit dem sich Unternehmen gegen staatliche Auflagen wehren können, gilt als wichtigster Stolperstein für das europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen (TTIP). Kritiker lehnen die heutigen Regeln, die beispielsweise in 140 Handelsverträgen Deutschlands mit anderen Ländern enthalten sind, ab, weil sie befürchten, dass Konzerne auf diesem Weg europäische Umwelt- und Verbraucherschutz-Standards aushebeln könnten.
Vor allem die in der Bürgerinitiative „Stopp TTIP“ zusammengeschlossenen Organisationen bekämpfen die beiden Freihandelsabkommen TTIP (mit den USA) und CETA (mit Kanada) wegen der Geheimgerichte, vor denen Streitfälle ohne öffentliche Beteiligung ausgetragen werden. In Brüssel mehren sich allerdings die Anzeichen für eine Kompromisslinie, die in TTIP „eine Chance sehen, um das ISDS-System zu modernisieren“, wie es der Vorsitzende des Verbandes der chemischen Industrie (VCI), Bayer-Chef Marijn Dekkers, am Mittwoch in Brüssel formulierte. Es müsse „garantiert sein, dass staatliche Regulierungsmöglichkeiten nicht eingeschränkt werden“.
Genau das, so wird in der Kommission betont, wäre durch einen internationalen Hof nach den üblichen Regeln, die für alle Gerichte gelten, sichergestellt.