Da standen sie also an diesem Freitag zum sechsten Mal nebeneinander: Michel Barnier und David Davis, die beiden Chef-Unterhändler der EU und Großbritanniens für den Brexit. Der eine sagte: „Es gibt keinen ausreichenden Fortschritt.“ Der andere meinte: „Wir haben erhebliche Fortschritte bei allen Themen erreicht.“ Die Distanz war spürbar.
Doch dieses Mal beließ es Barnier nicht bei deutlichen Worten: Brüssel setzt London die Pistole auf die Brust. Sollte sich die britische Seite nicht binnen zweier Wochen bewegen und es zu einem erfolgreichen Zwischenergebnis kommen, werde es nicht – wie erhofft – schon im nächsten Monat zu Beratungen über die beiderseitigen Beziehungen kommen. Es ist das Thema, auf das die Regierung von Theresa May so sehr wartet, weil es dann um den künftigen Zugang zum Binnenmarkt geht.
Doch Barnier hat erkennbar die Faxen dicke. Zu deutlich habe die Delegation von der anderen Seite des Kanals auch dieses Mal wieder gebremst, verzögert, sich in unklare Aussagen geflüchtet. Alle drei Themen – die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien, die Abschlussrechnung und der künftige Übergang zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland – seien „ungelöst“.
Nach Brüssel zum Kaffeetrinken
„Die britische Verhandlungsdelegation kommt vor allem zum Kaffeetrinken nach Brüssel“, kommentierte der SPD-Europa-Politiker Jo Leinen diese zweitägige Verhandlungsrunde. „Wir haben lange genug gewartet und brauchen konkrete Fortschritte“, meinte der Chef der christdemokratischen EVP-Mehrheitsfraktion in der EU-Volkskammer, Manfred Weber.
Die Situation ist verfahren. Beide Seiten agitieren mehr im Hintergrund als am Konferenztisch. So wurde in Brüssel aufmerksam registriert, dass die Regierung in London neuerdings nur noch von „Gesprächen“, nicht aber von „Verhandlungen“ spricht. Dass Premierministerin Theresa May am Mittwoch dieser Woche ankündigte, den 29. März 2019, 24 Uhr, als festes Brexit-Datum in das entsprechende Gesetz zu schreiben, hat die EU verärgert. Das deutliche Ultimatum dürfte eine Retourkutsche sein.
Ungeklärte Fragen
Teilnehmer der sechsten Verhandlungsrunde berichten zwar nichts, lassen höchstens durchscheinen, woran eine Einigung wieder oder immer noch scheitert: Beim Aufenthaltsrecht für EU-Bürger sind Fragen des Familiennachzugs ungeklärt. Die Kriterien, die die EU bei der Berechnung für die britische Schlussrechnung anlegt, werden von London nicht geteilt. Dort ist man lediglich bereit, für den britischen Anteil an Zusagen europäischer Förderprogramme zu bezahlen, nicht aber auch für andere Folgekosten des Austritts wie beispielsweise die Pensionen von EU-Beamten. Über die künftige Gestalt der Grenzen zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland könne man, so argumentieren die Vertreter des Vereinigten Königreiches, ohnehin erst reden, wenn auch die zukünftigen Beziehungen ausgehandelt werden.
EU-Chefunterhändler Barnier ließ das alles nicht gelten: „Nur ausreichende Fortschritte, und das heißt echte und aufrichtige Fortschritte, in diesen drei Schlüsselfragen der Verhandlungen werden es ermöglichen, die zweite Phase unserer Verhandlungen einzuleiten. Diese drei Fragen sind, ich wiederhole es, unteilbar.“ Ohne Einigung innerhalb der gesetzten Frist müssten die Staats- und Regierungschefs bei ihrem nächsten Treffen Mitte Dezember den Zeitplan völlig neu sortieren. Dann würden die europäisch-britischen Beziehungen wohl erst ab Februar beraten werden – und damit stiege der ohnehin heftige Zeitdruck noch einmal an.