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LONDON
Briten entdecken „Dinner for One“
Dinner for One       -  Freddie Frinton als Butler James im beliebten TV-Sketch „Dinner for One“
Foto: Annemarie Aldag/NDR, dpa | Freddie Frinton als Butler James im beliebten TV-Sketch „Dinner for One“
byl
 |  aktualisiert: 02.04.2019 14:04 Uhr

Es soll zuweilen vorkommen, dass sich auf der Insel Deutsche und Briten am Tresen treffen. Wo sonst, darf man angesichts der sorgsam gepflegten Trinkkultur im Königreich anmerken, als im Pub könnten sich biererprobte Deutsche und nicht minder geübte Briten annähern? Manchmal aber, sozusagen ausgerechnet zum Höhepunkt – jenem Moment des Anstoßens – kommt es zu einem großen Missverständnis. Es folgt dem Muster kultureller Differenzen.

Die Szene jedenfalls läuft typischerweise so ab: „Cheers“, sagt der Brite. „Cheerio“, sagt der Deutsche und prostet arglos, unschuldig fast, in die Runde. Der gemeine Brite reagiert dagegen irritiert. Er würde natürlich nie meckern, weil zurückhaltend, freundlich und höflich – britisch eben. Doch im Geheimen fragt er sich trotzdem, warum die Deutschen „Cheerio“ und damit den Abschiedsgruß „Goodbye“ - Auf Wiedersehen – zum Anprosten nutzen? Noch dazu diesen sprachlich so altmodischen Begriff?

„Cheerio, Miss Sophie“

Die Antwort findet sich im Silvesterklassiker „Dinner for One“, nur weiß das der Brite nicht. Er kennt Butler James nicht, der die tiefe Stimme von Sir Toby imitiert und der älteren Dame krächzend „Cheerio, Miss Sophie“ ins Gesicht lallt. Während der Schwarzweiß-Sketch in Deutschland Kultstatus genießt, ist er im Vereinigten Königreich völlig unbekannt. Bis jetzt zumindest.

Erstmals werden am 31. Dezember die Feierlichkeiten zum 90. Geburtstag von Miss Sophie auch im Fernsehen auf der Insel übertragen. Damit hinken die Briten den Deutschen läppische 55 Jahre hinterher. Denn bereits 1963 wurde das Stück für den NDR aufgezeichnet. Zwar soll das Originaldrehbuch von Lauri Wylie erstmals in den 40er Jahren im London Varieté uraufgeführt worden sein. Doch der Exporterfolg folgte erst später und begann mit einem Zufall: Als im Sommer 1962 May Warden, die Miss Sophie spielt, und Butler-Darsteller Freddie Frinton im englischen Städtchen Blackpool das Theaterstück zeigten, saßen der Entertainer Peter Frankenfeld sowie Regisseur Heinz Dunkhase im Publikum. Diese entschlossen sich, den Sketch im Hamburger Theater am Besenbinderhof vor einem Live-Publikum zu verfilmen. Der Rest ist Geschichte.

Eintrag im Guinnessbuch

Es dauerte nämlich nicht lang, bis die TV-Sendung in Deutschland Kultstatus erlangte. Ab 1972 etwa wurde sie zum Pflichttermin an Silvester. Mittlerweile dient die Show außerdem als beliebtes Trinkspiel und reichte als Vorlage für etliche Parodien. 1988 schaffte es „Dinner for One“ sogar als „weltweit am häufigsten wiederholte Fernsehproduktion" ins Guinnessbuch der Rekorde. Derweil gehört die Komödie bei vielen Menschen in Zentraleuropa, in Norwegen, Finnland oder Dänemark sowie in einigen baltischen Ländern ebenfalls zum Silvesterbrauch. Nur die Briten, sie ließen sich nicht überzeugen vom eigenen Humor aus den 40er Jahren, vom Witz über Alterssex und Klassenunterschiede, vom Stolpern über den ausgestopften Tigerkopf und Gästen, die abwesend, weil tot sind. Die BBC lehnte eine Ausstrahlung stets ab.

Eine exotische Spezies

Dabei, so ist zu beobachten, findet die exotische Spezies der „Dinner-for-One“-Eingeweihten auf der Insel in der Regel Gefallen am Slapstick, auch wenn große Verwunderung darüber herrscht, wie dieser Oberschichten-Sketch zu einer Institution in der Bundesrepublik aufsteigen konnte. Wer überhaupt versteht Sir Toby, Mr Pommeroy, Admiral von Schneider und insbesondere Mister Winterbottom aus der Grafschaft Yorkshire mit seinem breiten nordenglischen Akzent? Geschenkt. Es kommt doch ohnehin auf „The same procedure as every year“ an. Etwas Erstaunen klingt auch durch, wenn das Dinner beginnt. Wer, fragt ein Engländer, kennt in Deutschland denn bitte das Entrée mit dem schönen Namen Mulligatawny Soup?

Freddie Frinton trank nicht

Die Antwort dürfte niemand sein. Abgesehen davon, dass das Wort, bei aller Simplizität des Gerichts, doch ziemlich zungenbrecherisch daherkommt und die Bestellung eine Herausforderung für den deutschen Besucher darstellen dürfte. Es handelt sich im Übrigen um eine scharfe Curry-Suppe, die auf einem indischen Rezept basiert und – ein kulinarisches Hoch auf das Empire und seine Kolonien – seit dem 19. Jahrhundert auch zur ansonsten vornehmlich ungewürzten britischen Küche gehört. Wie auch der Alkohol wichtiger Teil der Alltagskultur ist – will man zumindest meinen. Denn ausgerechnet Freddie Frinton, der besoffene Butler, der bereits 1968 im Alter von 53 Jahren starb, hielt sich im echten Leben tatsächlich vom Trinken fern.

 
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