Die Lage an den Grenzen des NATO-Landes Türkei zu Syrien und zum Irak wird immer brisanter. In der Nacht zum Donnerstag wurde erneut ein türkischer Soldat an der Grenze zu Syrien erschossen. Wer das Feuer von der syrischen Grenze aus eröffnet hatte, stand nicht fest. Schon zuvor waren seit Juli zwei türkische Grenzsoldaten durch Schüsse getötet worden, die offenbar von Mitgliedern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) abgegeben wurden.
Nach den tödlichen Schüssen in der Nähe des türkischen Grenzübergangs Cilvegözü in der Grenzprovinz Hatay am Donnerstag erwiderte die türkische Armee das Feuer. Ob auf der syrischen Seite Kämpfer verletzt oder getötet wurden, war nicht bekannt. Ohne politische Lösung der Kurdenfrage in der Türkei selbst und ohne Beilegung der Konflikte im Irak und in Syrien wird die Lage weiterhin für die Türkei gefährlich bleiben.
Gegen IS-Rekruten
Seit sich Ankara aktiv am Kampf gegen den IS in Syrien beteiligt, gehen türkische Truppen verstärkt gegen ausländische IS-Rekruten vor, die über die 900 Kilometer lange türkisch-syrische Grenze in den Machtbereich der Dschihadisten-Miliz gelangen wollen. In den vergangenen Wochen wurden mehrere Dutzend mutmaßliche IS-Neuzugänge an der Grenze gefasst. Zudem befürchtet Ankara, dass der IS Kämpfer über die Grenze in die Türkei schicken könnte, um Anschläge zu begehen.
Der IS ist aber nicht das einzige Problem. Der am Donnerstag getötete 21-jährige Wehrpflichtige wurde in einem Grenzsektor erschossen, der auf der syrischen Seite von Gruppen der Freien Syrischen Armee (FSA) beherrscht wird, einer gemäßigten Rebellentruppe. Allerdings ist auch die zu El Kaida gehörende Nusra-Front in der Gegend aktiv.
Aus türkischer Sicht könnte auch die syrische Kurdengruppe Demokratische Unionspartei (PYD) an der Grenze zum Problem werden. Die PYD, der syrische Ableger mit der türkisch-kurdischen Rebellenorganisation Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), hat syrische Gebiete im östlichen Teil der Grenze unter ihre Kontrolle gebracht. Nach Einschätzung Ankaras strebt die PYD die Bildung eines eigenen Kurdenstaates in Nord-Syrien an. Bisher gebe es keinen Grund für die Türkei, gegen die PYD zu kämpfen, sagen türkische Regierungsvertreter. Für die Zukunft ausschließen wollen sie das aber auch nicht.
Bewaffnete Kurdengruppe
Die Präsenz einer bewaffneten Kurdengruppe ist auch entlang der mehr als 300 Kilometer langen Grenze zum Irak ein großes Problem für die Türkei. Zwar pflegt die türkische Regierung sehr gute Beziehungen zur Regionalregierung der irakischen Kurden (KRG), die im Norden Iraks über eine autonome Kurdenzone herrscht. Doch auch die PKK hat im Nordirak ihr Hauptquartier: Von den Kandil-Bergen aus, rund hundert Kilometer südlich der türkischen Grenze, und von Lagern an anderen Orten im Nordirak aus schickt die PKK immer wieder Kämpfer in die Türkei. Die KRG würde die PKK gerne aus ihrem Gebiet verbannen, scheut aber die direkte militärische Konfrontation.
Deshalb kann die PKK zumindest vorerst weiter aus dem Nordirak heraus agieren. So wurde der PKK-Anschlag vom vergangenen Sonntag, bei dem in Daglica 16 türkische Soldaten getötet wurden, von PKK-Trupps ausgeführt, die aus dem nahen Nordirak über die Grenze gekommen waren.
Türkische Kampfflugzeuge bombardieren seit Ende Juli immer wieder Positionen der PKK im Nordirak. Nach dem Angriff von Daglica schickte Ankara zudem Soldaten über die Grenze ins Nachbarland, um PKK-Einheiten zu verfolgen. Laut Presseberichten orteten die Soldaten bei diesem ersten türkischen Bodentruppeneinsatz im Irak seit mehreren Jahren die Rebelleneinheiten und gaben deren Koordination an die türkische Luftwaffe weiter, die dann die Verstecke der PKK-Kämpfer bombardierten. Mindestens zwölf Rebellen sollen dabei getötet worden sein.