Wer sich in der Türkei in diesen Tagen besonders patriotisch geben will, der trennt sich so publikumswirksam wie möglich vom Dollar. In Sanliurfa an der syrischen Grenze rief der Geschäftsmann Hasan Izol jetzt die Presse zusammen und setzte vor laufenden Kameras hundert Ein-Dollar-Banknoten mit einem Feuerzeug in Brand. Mit der Aktion wolle er Präsident Recep Tayyip Erdogan unterstützen, sagte Izol den Reportern. Erdogan wirft der Trump-Regierung vor, einen „Wirtschaftskrieg“ gegen die Türkei zu führen, und droht mit einem Ende des traditionellen Bündnisses zwischen Ankara und Washington. Die Achsenverschiebung stärkt die Rolle Europas: Erdogans anstehender Besuch in Berlin erhält durch die Entwicklung eine neue Bedeutung. Der Absturz der Türkischen Lira gegenüber dem Dollar, der sich in den vergangenen Tagen dramatisch beschleunigt hat, wird von Erdogans Regierung als Angriff des Auslands auf die Türken gedeutet. Im Streit um die Inhaftierung des amerikanischen Geistlichen Andrew Brunson in der Türkei hatte US-Präsident Donald Trump am Freitag hohe Strafzölle gegen die Türkei verhängt und die Lira damit auf eine rasante Talfahrt geschickt: An einem einzigen Trag sackte der Kurs zeitweise um mehr als 20 Prozent ab. Erdogan reagiert mit harscher Kritik an den USA und kann damit zumindest bisher die Wut vieler Türken über die miese wirtschaftliche Lage von sich selbst ablenken. Selbst die Opposition kritisiert vor allem die USA und weniger die eigene Regierung.
Dabei hat Erdogan nach Ansicht vieler Experten mit seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik selbst dazu beigetragen, dass die Türkei in die Krise geschlittert ist und dass die Lira seit Jahresbeginn gut 40 Prozent an Wert verloren hat. In den vergangenen Tagen sprach er sich erneut gegen eine Erhöhung der Leitzinsen aus, obwohl Investoren dies zur Bekämpfung der steigenden Inflation fordern. Erdogans Politik sei gescheitert, schrieb der Analyst Timothy Ash auf Twitter.
Für den türkischen Präsidenten sind solche Warnungen kein Grund für eine Korrektur. Er ruft die Türken auf, Dollar-Guthaben in Lira umzutauschen und ansonsten der Regierung und Gott zu vertrauen. Zinsen seien ein „Instrument der Ausbeutung“, bekräftigte er: Es ist kaum anzunehmen, dass die Zentralbank nach dieser Ansage des Präsidenten eine Zinsanhebung wagt.
Auch politisch bleibt Erdogan auf Konfrontationskurs. Er werde sich dem amerikanischen Druck im Fall Brunson nicht beugen, sagte er. Andere bilaterale Differenzen, etwa wegen der US-Unterstützung für kurdische Milizionäre in Syrien, sorgen für weitere Spannungen. Statt einer Lösung deutet sich neuer Krach an. Die Türkei will bei den neuen Sanktionen Trumps gegen den Nachbarn Iran nicht mitmachen. In der „New York Times“ schrieb Erdogan, die Türkei werde sich nach neuen Freunden und Verbündeten umschauen, wenn die USA nicht mehr Respekt an den Tag legen sollten. Schon seit Jahren liebäugelt Erdogan immer wieder mit engeren Beziehungen zu Russland und China. Doch dies wäre für die Türkei keine strategische Alternative. Mit Russland arbeitet Erdogan im Syrien-Konflikt zwar eng zusammen, doch verfolgen beide Länder in anderen Regionen wie dem Kaukasus oder dem Balkan völlig unterschiedliche Ziele. Auch das Verhältnis zu China ist nicht problemfrei: Erdogan bezeichnete den Umgang Beijings mit der muslimischen Minderheit der Uiguren einmal als „Völkermord“. Realistischer für die Türkei ist eine Neuausrichtung auf die EU. Die Europäer sind Abnehmer von mehr als 44 Prozent der türkischen Exporte und damit als Handelspartner unverzichtbar. Seit Monaten arbeitet Ankara an einer Normalisierung der Beziehungen zu Europa; der für September geplante erste Staatsbesuch von Erdogan in Deutschland seit seiner Wahl zum Präsidenten vor vier Jahren ist Ausdruck dieser Bemühungen.
Allerdings wird es keine Rückkehr zum engen Verhältnis zwischen Brüssel und Ankara geben, das auf dem Höhepunkt des türkischen EU-Strebens im vorigen Jahrzehnt herrschte. Die Türkei sei kein Land mehr, das sich vom Ausland alles vorschreiben lasse, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu vor kurzem. Simon Waldman, Mercator-IPCam Istanbul Policy Center, sieht in der türkisch-amerikanischen Krise Anzeichen einer türkischen Selbstüberschätzung. Erdogan und seine Gefolgsleute betrachteten die Türkei als „neue aufstrebende Macht, die die alten Mächte herausfordert“, sagte Waldman unserer Zeitung.