Erleichterung sieht anders aus. Zwar schickte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Montagmorgen eine Gratulation an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er wünschte ihr nicht nur eine „glückliche Hand für die anstehenden Koalitionsverhandlungen“, sondern mahnte auch: „Wir brauchen eine stabile Bundesregierung.“ Nichts sei schlimmer als eine monatelange Krise im wichtigsten europäischen Land, hieß es in Brüssel. Man hoffe, dass es zügig ein neues Regierungsbündnis gebe.
Dass die EU am liebsten eine Fortsetzung der Großen Koalition gesehen hätte, ist ein offenes Geheimnis. Denn angesichts des bevorstehenden Brexits (am Montag begann in Brüssel die dritte Verhandlungsrunde) und den immer lauter werdenden Rufen nach einem Umbau der Union wird die Kanzlerin als Moderatorin gebraucht.
Mit einer geschwächten oder durch strikte Koalitionsvereinbarungen mit Liberalen und Grünen an die Leine gelegten deutschen Regierungschefin werde man wohl deutlich schwerer zusammenarbeiten können, wird befürchtet.
Regelrechtes Entsetzen rief dagegen der Einzug der rechtspopulistischen AfD in den Bundestag hervor. EU-Währungskommissar Pierre Moscovici war der Erste, der einen bitteren historischen Bezug herstellte: „Die AfD im Bundestag – das ist ein Schock und legt Zweifel an der Gemeinschaft offen.“ Allerdings sei „die deutsche Demokratie stark. Kein Vergleich mit 1933.“ Kommissionschef Juncker unterstrich ebenfalls: „Die Kommission hat Vertrauen in die Demokratie.“
Der belgische Außenamtschef Didier Reynders, ein liberaler Politiker, erklärte: „Der Aufstieg der Extremen in Deutschland, wie zuvor schon in Frankreich und den Niederlanden, sollte uns dazu bringen, sehr praktische Reformen zu verabschieden.“
Schon am Donnerstag treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU in Tallinn. Dann geht es auch um ein neues Gesicht für die Gemeinschaft. Dass Merkel unbeirrt ihre Linie fortsetzen und gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Juncker über weitgehende Korrekturen an der EU reden darf, kann sich in Brüssel kaum jemand vorstellen.
„Die deutsche Kanzlerin“, so sagte ein hochrangiges Mitglied der Kommission, „wird auf ihre Partner zu Hause Rücksicht nehmen wollen und müssen. Ob sie weiter ein Motor der europäischen Einigung bleiben kann, ist tatsächlich offen.“ Auch in Paris kommt die Frage auf, was dieses Ergebnis für die deutsch-französischen Beziehungen und die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene bedeutet.
Präsident Emmanuel Macron teilte am Wahlabend mit, er habe Merkel beglückwünscht. Allerdings gilt in Paris die SPD als einfacherer Partner als es etwa die Liberalen wären.
Die FDP hat reserviert auf Macrons Vorschläge einer Vertiefung der Eurozone mit eigenem Finanzminister und vor allem einem gemeinsamen Euro-Budget reagiert.
Glückwünsche aus Frankreich gab es noch am Abend der Bundestagswahl nicht nur an Angela Merkel – sondern auch an die AfD. Rechtspopulistin Marine Le Pen gratulierte „unseren Alliierten der AfD für ihren historischen Sieg“ und wollte darin „das neue Symbol für das Erwachen des Volkes“ sehen.
Dass künftig auch im deutschen Parlament eine rechtsextreme Partei vertreten ist, wird in Frankreich als eines der Hauptresultate dieser Wahl angesehen.
Weiteres Hauptresultat ist das „eingetrübte“ Ergebnis für die Bundeskanzlerin. „Wer gewinnt, der verliert“, kommentierte die linksgerichtete Zeitung „Libération“: Der Einbruch für die CDU und die voraussichtlich schwierige Suche nach einer Koalition hat in Frankreich überrascht, wo die Stärke und Standfestigkeit Merkels sonst mit einer Mischung aus Ver- und Bewunderung beobachtet wird.