Nach einer guten Dreiviertelstunde hat Angela Merkel genug. 48 Minuten lang hat die Bundeskanzlerin am frühen Mittwochnachmittag von ihrem Platz in der ersten Reihe der Regierungsbank schweigend die kurzfristig angesetzte Debatte des Bundestags zum Thema „Konsequenzen aus den Ereignissen von Köln und anderen Großstädten in der Silvesternacht“ verfolgt, ohne das Wort zu ergreifen, dann steht sie auf und verlässt eilenden Schrittes den Plenarsaal des Reichstagsgebäudes. Ihr Platz bleibt leer, während die Debatte weitergeht.
Kritik an NRW und Berlin
So bleibt der Kanzlerin auch der Auftritt ihres christdemokratischen Parteifreundes Wolfgang Bosbach erspart. Der frühere Vorsitzende des Innenausschusses, der im Sommer wegen seines Neins zum dritten Hilfspaket für Griechenland von seinem Amt zurückgetreten ist und auch in der Flüchtlingspolitik zu den Kritikern Merkels gehört, hält an seiner Linie fest und nimmt kein Blatt vor den Mund.
Zwar kritisiert er zuerst unter dem lautstarken Beifall seiner Fraktionskollegen die rot-grünen Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen und anderswo, die in der Vergangenheit massiv Polizeistellen abgebaut hätten, doch dann kommt er auf den Kurs der Bundesregierung zu sprechen.
Das, was in Köln geschehen sei, habe auch „mit politischen Entscheidungen“ in Berlin zu tun, sagt er. Es sei richtig und gut, dass das Recht auf Asyl keine Obergrenze kenne, „aber das bedeutet nicht, dass wir eine völlig unbegrenzte Aufnahmefähigkeit und eine völlig unbegrenzte Integrationsfähigkeit haben“. Und dann wird Bosbach noch deutlicher: „Wir stehen vor einer Überforderung unseres Landes.“ Eindringlich fordert er: „Den Kontrollverlust, den wir seit dem Sommer vergangenen Jahres haben, müssen wir so rasch wie möglich beenden.“
Auch ohne die Kanzlerin ist die Bundesregierung in der Debatte stark vertreten. Sowohl Justizminister Heiko Maas und Familienministerin Manuela Schwesig (beide SPD), als auch Innenstaatssekretär Ole Schröder (CDU), der seinen kurzfristig in die Türkei geflogenen Ressortchef Thomas de Maiziere vertritt, ergreifen das Wort und verurteilen die Vorkommnisse in der Silvesternacht auf das Schärfste.
Die Regierung werde alles dafür tun, „dass sich so etwas in unserem Land nicht wiederholt“, verspricht Schröder, man werde es nicht zulassen, dass rechtsfreie Räume entstünden. Und den überwiegend aus dem Ausland stammenden Tätern sage man: „Wenn Sie nach Deutschland kommen, auch um Schutz zu suchen, hier aber schwere Straftaten begehen, dann haben Sie in unserem Land nichts zu suchen.“ Durch die geplanten Gesetzesverschärfungen werde man straffälligen Ausländern noch konsequenter als bisher die rechtliche Anerkennung als Flüchtling versagen und sie notfalls abschieben.
Ähnlich argumentiert auch Justizminister Maas. „Für sexuelle Übergriffe auf Frauen gibt es keine Entschuldigung und auch keine Rechtfertigung.“ Auch ein möglicher kultureller Hintergrund entschuldige nichts. „Ganz im Gegenteil: Er ist noch nicht einmal als Erklärung akzeptabel.“ Die Verschärfung der Gesetze sei kein Schnellschuss, sondern angemessen und notwendig, dies sei man nicht nur den Opfern, sondern auch den „Hunderttausenden unbescholtenen Flüchtlingen“ schuldig.
Im gleichen Atemzug nennt Maas die pauschale Hetze gegen Ausländer „widerlich“, die Krawalle von Rechtsradikalen seien „genauso empörend“. „Wir werden nicht zulassen, dass Kriminelle den gesellschaftlichen Frieden in unserem Land kaputt machen, egal ob es Rechtsradikale oder kriminelle Ausländer sind.“
Kipping: Auch Deutsche Täter
Katja Kipping, die Vorsitzende der Linkspartei, erinnert daran, dass schon vor Köln viele Frauen Sexismus und sexualisierter Gewalt ausgesetzt gewesen seien. Dies sei „keine Importware aus dem Ausland“, vielmehr stammten die meisten Täter aus dem persönlichen Umfeld der Opfer. So hätten 25 Prozent der Frauen in Deutschland bereits Gewalt durch ihren Partner erfahren. Das müsse auch dann thematisiert werden, „wenn die Täter nicht ausländischer Herkunft sind“. Gleichzeitig kritisiert Kipping, dass das Thema Frauenrechte von Rassisten instrumentalisiert und missbraucht werde, um pauschal gegen Ausländer zu hetzen.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt wirft der Großen Koalition vor, noch im vergangenen Jahr die von den Grünen geforderte Verschärfung des Sexualstrafrechts abgelehnt zu haben. „Sie hätten dieses Gesetz schon viel früher haben können.“ Die von der Koalition geplante Vereinfachung der Abschiebung sei keine Lösung des Problems, da in viele Länder gar nicht abgeschoben werden könne. „Der Schlüssel ist vielmehr Integration.“
CDU-Innenexperte Thomas Strobl prangert die „Verrohungstendenzen und Brutalisierung in der Sprache in den sozialen Netzwerken, aber auch auf der Straße“ an.