zurück
„Boris“ will in die Nummer 10
Brexit: In den Reihen der Tories wird um die Nachfolge David Camerons gekämpft. Boris Johnson gilt als umstritten.
Boris Johnson       -  Das Brexit-Zugpferd Boris Johnson hat Ambitionen auf den Vorsitz der Tories und den Posten des Premierministers. Gegen ihn läuft aber in den Reihen der Konservativen auch eine „Stop Boris“-Kampagne.
Foto: dpa | Das Brexit-Zugpferd Boris Johnson hat Ambitionen auf den Vorsitz der Tories und den Posten des Premierministers. Gegen ihn läuft aber in den Reihen der Konservativen auch eine „Stop Boris“-Kampagne.
byl
 |  aktualisiert: 06.07.2016 03:29 Uhr

David Cameron wirkte, als habe er über das Wochenende Energie getankt. Der Premierminister, der am Freitag seinen Rücktritt angekündigt hatte, machte bei der ersten Parlamentssitzung seit dem Brexit-Votum, Witze, zeigte sich trotz seiner Niederlage optimistisch und strich für seine Amtszeit ein Kompliment nach dem anderen ein. Zugleich machte er klar, dass Großbritannien erst offizielle Austrittsverhandlungen mit der EU aufnehmen wolle, wenn eine Entscheidung über die Art der künftigen Beziehung zu Brüssel getroffen sei. Dafür brauche das Land nun nicht ihn, sondern „einen frischen Start und eine frische Führung“.

In Großbritanniens konservativen Kreisen wurden an diesem Wochenende genau aus diesem Grund viele Telefonate geführt und Textnachrichten ausgetauscht. Immerhin geht es bei den einen um nichts weniger als das Projekt: „Stop Boris“. Andere dagegen fordern, dass der Konservative Boris Johnson bald in die Downing Street mit der berühmten Hausnummer 10 einzieht. Nach der EU-Schlacht, bei der sich die Tories tief gespalten gezeigt haben, folgt nun die Schlacht um den Parteivorsitz.

„Das Land braucht einen frischen Start und eine frische Führung.“
David Cameron, britischer Premierminister

Und wieder geht es um EU-Freunde gegen EU-Gegner. Doch dieses Mal scheinen die Sieger dieses Referendums im Vorteil. „Der nächste Premierminister muss aus den Reihen der Brexiteers stammen“, sagt Matthew Goodwin, Politologe an der Universität Kent. Doch zahlreiche konservative Abgeordnete wollen verhindern, dass nach dem Votum der ehemalige Bürgermeister Londons die Nachfolge von Cameron antritt.

Der 52-jährige Johnson gilt als logischer Nachfolger von David Cameron. Immerhin hat „Boris“, wie er nur genannt wird, als Wortführer die Leave-Kampagne zum Sieg geführt. Doch er zählt erbitterte Gegner in den eigenen Reihen. Johnson fehle das politische Gewicht und die Erfahrung, kritisiert ein langjähriger Parlamentarier. Auch bei etlichen Briten hat sich Johnson mit seiner Kampagne unbeliebt gemacht. Mit Hitler-Vergleichen, persönlichen Attacken und zurechtgebogenen Halbwahrheiten trommelte er für den Brexit. Dabei klebte an ihm stets der Vorwurf, sich nur aus opportunistischen Gründen auf die Seite der EU-Gegner geschlagen zu haben.

Gestern meldete sich sogar der Starkoch Jamie Oliver, der seine Landsleute bat, sich gegen einen Premierminister Boris Johnson auszusprechen. Aber: Nicht die Bevölkerung bestimmt den nächsten Vorsitzenden, sondern die konservative Parteibasis. Und die besteht in überwältigender Mehrheit aus EU-Skeptikern, die Johnsons Bemühungen für den Austritt mit Wohlwollen beobachtet haben. Sie dürfen einen der beiden Bewerber wählen, die die Abgeordneten diese Woche aufstellen werden.

Und die Kandidatin, die ihn stoppen soll, heißt Theresa May. Als Innenministerin hat sie sich in der Vergangenheit oft sehr EU-kritisch geäußert, aber sich wohl aus strategischen Karrieregründen und nur nach einigem Zögern auf die Seite von David Cameron geschlagen. Doch wo war die 59-Jährige in den vergangenen Wochen, als das Kampagnen-Theater das Land bestimmte? Sie hielt sich auffallend zurück und trat nur selten für Europa auf. Das könnte sich nun auszahlen. Sie könnte als Brücke fungieren zwischen den Europaskeptikern und dem EU-freundlichen Flügel. Doch es geht nicht nur darum, den Riss innerhalb der Konservativen zu kitten.

Die Aufgaben sind weitaus größer: Der neue Regierungschef muss das tief gespaltene Land einen. Und gleichwohl die langwierigen und laut Cameron „seit Jahrzehnten komplexesten“ Verhandlungen mit der EU führen. Das Referendum ist zwar nicht rechtlich bindend. Doch auch wenn mehrere Abgeordnete gestern das Brexit-Votum bedauerten, machte Cameron gestern erneut klar: „Die Entscheidung des Volks muss akzeptiert werden.“ Ohnehin scheint es unvorstellbar, dass sich das Parlament einer Mehrheitsentscheidung des Volks widersetzen würde. Wann das Austrittsverfahren gemäß Artikel 50 des Lissabonner Vertrags in Gang gesetzt werden soll, war noch unklar. Zuerst müsse man eine klare Vorstellung vom künftigen Verhältnis zur EU haben, betonte Osborne.

Die Frage steht im Raum: Könnte der ehemalige Journalist Johnson die Aufgabe wirklich übernehmen? Politisch hat sich Johnson bislang kaum bewiesen. Im Gegenteil, seine Leistung als Londons Oberhaupt wird als äußerst dürftig betrachtet. Ja, er gibt sich stets volksnah und besitzt mehr Charisma als die anderen möglichen Mitbewerber. Doch zu oft schießt er über das Ziel hinaus und stolperte schon häufig über Skandale und Affären.

Sollte Johnson zum nächsten Vorsitzenden gewählt werden, gehen Beobachter von Neuwahlen bis zum Ende des Jahres aus.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Boris Johnson
Brexit
Conservative Party
David Cameron
EU-Gegner
Premierminister
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen