Wer durch die Straßen unserer Städte liefe und „Schützt unsere Stauwasserböden!“ brüllte, würde wohl für ziemlich wunderlich gehalten. Auch Parolen wie „Niemand sei er einerlei! Ehre für den Pseudogley!“ würden vermutlich nur Kopfschütteln ernten – selbst bei Menschen, die wüssten, dass der sonderbare Begriff einen Bodentyp bezeichnet, in dem sich nach längeren Regenfällen auf einer Sperrschicht Wasser staut, während dasselbe Erdreich in extrem trockenen Zeiten ausdörren kann. Jedenfalls würde, wer in der Fußgängerzone mit der Spendenbüchse rasselte, um für hungrige Zirkustiere zu sammeln, viel mehr milde Gaben erhalten als ein noch so engagierter Trommler für den Bodenschutz. Das liegt schon daran, dass Böden weder Kulleraugen noch ein flauschiges Fell oder ein hübsches Gefieder vorweisen können – und jaulen können sie erst recht nicht, wenn man sie tritt.
Dass wir den Boden unter unseren Füßen kaum wahrnehmen, ginge ja noch an. Doch obendrein zerdrücken wir ihn auch mit schweren Landmaschinen, versiegeln ihn beim Bau von Straßen, Parkplätzen und Wohnungen, entziehen ihm Wasser und überdüngen ihn mit Stickstoff. Außerdem muten Bauern ihren Feldern allein in Deutschland Jahr für Jahr Zigtausende Tonnen an Pestiziden zu, die zum Teil auch ins Erdreich gelangen und dort den ökologisch wichtigen Würmern, Asseln und zahllosen Kleinstlebewesen das Leben schwermachen – das Sterben dagegen oft einfach. Weltweit übernutzen wir Böden derart stark, dass sie ausgelaugt oder entblößt daliegen und von Wind und Wetter wegeblasen und fortgeschwemmt werden können. Falsche Bewässerung lässt viele Ackerböden in Trockenregionen auf Dauer versalzen. So entzieht sich die Menschheit buchstäblich selbst den Mutterboden, auf dem ihre Gemeinwesen gründen und von dem sie sich ernähren muss. Es sei „höchste Zeit“, dieses drängende Problem „zu erkennen, entsprechend umzudenken und zu handeln“, warnt der Bodenbiologe Winfried Blum, bis 2009 Professor an der Universität für Bodenkultur in Wien. „Wir erben die Böden nicht von unseren Eltern, sondern leihen sie bloß von unseren Kindern.“
Und weil das alles so ist und weil in klimatisch weniger begünstigten Gebieten Jahr für Jahr noch viel mehr Boden verloren geht als in Mitteleuropa, haben die Vereinten Nationen das Jahr 2015 zum Weltbodenjahr ausgerufen. Der Startschuss dazu fällt am jährlichen Weltbodentag Anfang Dezember, wenn auch das Auswahlgremium der Aktion „Boden des Jahres“ seinen Kandidaten für 2015 in Berlin vorgestellt hat. An der Aktion beteiligt sich neben bodenkundlichen Verbänden auch das Umweltbundesamt in Dessau.
Im Weltbodenjahr soll auf den Pseudogley aufmerksam gemacht werden, ein weit verbreiteter Wald- und Wiesenboden vor allem dort, wo das Gestein im Boden zu tonreichem Lehm verwittert ist oder wo aus anderen Gründen das Bodenwasser sich zeitweise staut. Etwa ein Zehntel Deutschlands weist Stauwasserböden auf, so etwa weite Bereiche der flachwelligen Grundmoränen-Landschaft Mecklenburg-Vorpommerns und Niedersachsens, aus der sich die Gletscher erst gegen Ende der jüngsten Kaltzeit vor etwa zehntausend Jahren zurückgezogen haben.
Typisch für Stauwasserböden sind der für Wasser und Luft noch recht durchlässige Oberboden und die darunterliegende, für Wasser kaum noch passierbare Schicht. Diese kann allmählich auch zur Sperre werden, indem versickerndes Regenwasser aus dem Oberboden feine Tonteilchen mit sich führt und die winzigen Partikel tiefer im Boden zurücklässt. Denn dadurch wird das Erdreich zunehmend abgedichtet und hält fast alles Sickerwasser auf. Der elfte „Boden des Jahres“ ist folglich übers Jahr mal nasser und mal trockener und deshalb ein typischer „Standort von Waldgesellschaften, die Wechselfeuchte bevorzugen, zum Beispiel des Stieleichen-Hainbuchenwaldes“, sagt der Tübinger Geograf Thomas Scholten, Präsident der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft.
Indem Stauwasserböden aufgesogene Niederschläge nach und nach an die Pflanzenwurzeln abgeben und nur zeitverzögert verdunsten lassen, puffern sie sowohl Niederschlagsspitzen als auch Regenmangel in Trockenzeiten wirksam ab. Damit mäßigen sie das Hochwasserrisiko an Flüssen und lindern möglichen Trockenstress für Waldbäume.
Warum die Wahl diesmal auf den Pseudogley gefallen ist, begründet Gerhard Milbert vom Geologischen Dienst in Nordrhein-Westfalen so: „Bisher wurde noch nie ein Boden vorgestellt, dessen beste Nutzung die als Waldboden ist.“ Bisher seien verschiedene Ackerböden, ein Weinbergsboden sowie ein Parkboden aus der Stadt vorgestellt worden – allesamt vom Menschen stark beeinflusste Böden. Waldböden hingegen würden weder gedüngt noch vom Menschen für seine Zwecke optimiert. „Sie sind in unserem Klimabereich weitgehend unverändert, so weit dies in unserer – auch stofflich gesehen – globalisierten Welt noch möglich ist“, merkt der Sprecher des „Kuratoriums Boden des Jahres“ an.
Waldgesellschaften auf Stauwasserböden, die wie der Stieleichen-Hainbuchenwald gut angepasst sind an wechselfeuchte Phasen im Jahr, sind hart im Nehmen. „Selbst einige nasse oder trockene Jahre hintereinander können ihnen nicht viel anhaben“, sagt Milbert. Um sie landwirtschaftlich anders denn als Wiese nutzen zu können, werden Stauwasserböden jedoch häufig entwässert. Dazu wird, was im Spätwinter und Frühjahr an Regen fällt, in den nächsten Bach oder Fluss abgeleitet – weg damit! „Dieser Wasservorrat fehlt dann im Spätsommer und Herbst.“ Ein intakter Pseudogley würde das Wasser speichern und auch an heißen Sommertagen noch an Pflanzen abgeben können.
Gerhard Milbert weiß natürlich, dass es schwierig ist, dem Bodenschutz den Boden zu bereiten. „Während die Schutzgüter Luft und Wasser sowie die oberirdischen Tiere und Pflanzen als schutzwürdige Güter inzwischen im Bewusstsein der Menschen in Deutschland verankert sind, ist dies mit dem Schutzgut Boden, einem höchst belebten Naturkörper, noch nicht der Fall“, bedauert der Bodenkundler. Deshalb seien Aktionen wie das UN-Jahr des Bodens 2015, der Weltbodentag und der „Boden des Jahres“ so wichtig, um möglichst viele Menschen als Nutzer von Böden für deren Belange zu sensibilisieren. Denn wo der Boden erst einmal ruiniert, weggeblasen oder weggeschwemmt worden ist, gelingt es kaum noch, ihn wiederzustellen.
Der Boden ist eine endliche Ressource
Böden sind die Erdschicht zwischen Gestein und Pflanzendecke. Sie entstehen, indem Hitze, Frost und Niederschläge wie auch Sauerstoff und organische Säuren das jeweils vorhandene Gestein allmählich zerrütten. Auch viele Pflanzen- und Tierarten unterstützen den Gesteinszerfall. Indem sie die Wurzelschicht oben mit der Gesteinsunterlage darunter immer intensiver durchmischen, helfen sie dabei, dem Leben auf Erden buchstäblich den Boden zu bereiten. In halbwegs gesunden Böden wuselt es nur so. Nicht nur Säugetiere wie Hamster, Maulwürfe, Kaninchen oder Mäuse halten sich zeitweise im Erdreich auf und helfen Luft und Regen, dorthin vorzudringen. Auch Regen- oder Borstenwürmer, Asseln und Springschwänze durchwühlen den Boden und düngen ihn mit ihrem Kot. Hinzu kommen etliche Arten von Milben, Wimpern- und Geißeltierchen sowie unzählige Pilz- und Bakterienarten, ohne deren Zutun tote Lebewesen nicht zersetzt würden und unsere Böden weit weniger fruchtbar wären. Wo Boden entblößt wird, indem man ihn seiner Pflanzendecke beraubt, droht sofort sein Verlust durch Wind und Wetter. Damit sich aus rohem Gestein ein einziger Zentimeter Boden neu bilden kann, braucht es nach Angaben Thomas Scholtens von der Universität Tübingen etwa 500 Jahre. Deshalb müssten die Böden der Welt aus menschlicher Sicht als „endliche, nicht erneuerbare Ressource“ gelten. Trotzdem verliere Deutschland aktuell „im Mittel bereits 15 Zentimeter Boden in 100 Jahren“, sagt der Bodenkundler – 75-mal so viel, wie zeitgleich neu entstehen kann. Böden im Internet: • www.bodenwelten.de (laienverständliche Infos des Bundesverbandes Boden) • www.bvboden.de (Bundesverband Boden, Infos zu „Böden des Jahres“) • www.boden-des-jahres.de