Die von Kriegsschäden, Hunger und Kälte gezeichnete Konfliktregion Donbass in der Ostukraine sieht sich von den blutigsten Kämpfen seit Wochen erschüttert. Die Militärführung hat nach eigenen Angaben eine neue Offensive der umstrittenen Anti-Terror-Operation (ATO) begonnen. Doch ein Verstoß gegen die angeordnete Waffenruhe sei das nicht, wie Kiew betont. 23 Tote und mehr als 150 Verletzte – das ist am Montag die 24-Stunden-Bilanz.
Besonders erbittert kämpfen Regierungstruppen um die Kontrolle über den strategisch wichtigen Flughafen von Donezk – der allerdings längst in Trümmern liegt.
Die prorussischen Separatisten und die Regierung in Moskau sehen den Airport als „Hoheitsgebiet“ der Aufständischen an. Sie werfen dem Militär eine „Aggression“ vor mit dem Ziel, den Krieg wieder voll zu entfesseln.
Beamte im russischen Außenministerium und Kremlsprecher Dmitri Peskow schimpfen in Moskau, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko schere sich nicht um die jüngsten Vorschläge von Präsident Wladimir Putin für eine friedliche Lösung des Konflikts. Der Kremlchef betonte in einem Schreiben an Poroschenko, dass schleunigst die geplante entmilitarisierte Zone geschaffen werden müsse.
Demnach sollen alle schweren Geschütze mit mehr als 100 Millimetern Durchmesser von der Frontlinie abgezogen werden. So sieht es zwar auch eine in der weißrussischen Hauptstadt Minsk schon im September getroffene Vereinbarung vor. Die ist bisher aber nicht umgesetzt worden – auch weil sich die Seiten nicht auf einen Verlauf der Demarkationslinie einigen können.
Zwar beteuert Poroschenko in Kiew bei einem Treffen mit der polnischen Regierungschefin Ewa Kopacz, dass die Ukraine weiter an Friedensgesprächen interessiert sei. Auch die EU und der Internationale Währungsfonds (IWF) knüpfen ihre Milliardenhilfen für die fast bankrotte Ukraine an eine friedliche Lösung des Konflikts. Doch als Oberbefehlshaber der Streitkräfte hat Poroschenko dem Militär befohlen, den Separatisten „keinen Fußbreit“ ukrainisches Territorium zu überlassen.
Poroschenko hat versprochen, die Staatlichkeit der Ukraine in der abtrünnigen Donbass-Region wiederherzustellen. Das Militär habe das Feuer im Donbass eröffnen müssen, erklärte der Staatschef beim Treffen mit Kopacz, weil die Separatisten geschossen und den Abtransport von getöteten Soldaten verhindert hätten. Deshalb habe er den Befehl gegeben, auf die Angriffe zu reagieren. Allerdings sehen auch Beobachter in der Ukraine seit Wochen Vorbereitungen für eine neue Offensive. In Uniform überreichte Poroschenko zuletzt mehrfach Panzer, Raketen und andere Waffen an die Streitkräfte. Und er hat drei Teilmobilmachungen angeordnet. Damit sollen in den kommenden Wochen und Monaten mehr als 100 000 Ukrainer zusätzlich bewaffnet werden.
Die Separatisten und Russland werfen Poroschenko ein „doppeltes Spiel“ vor: In der EU spreche er von Friedensplänen, um Milliardenhilfen zu bekommen; daheim sei er ein Präsident ohne echte Macht, der den „Kriegstreibern“ das Feld überlasse. Regierungskritische Kommentatoren in Kiew sehen die Offensive auch als Ablenkungsmanöver angesichts wachsender sozialer Probleme, steigender Preise und zunehmender Unzufriedenheit in der Bevölkerung.
Vor allem aber beklagen Politiker in Moskau, dass die Ukraine mit dem Konflikt international Stimmung machen wolle gegen Russland. Die bis zuletzt vergleichsweise ruhige Lage an der Front habe dazu geführt, dass sich konstruktive Kräfte im Westen wieder um Gespräche mit Russland bemühten, meinte der prominente Außenpolitiker Konstantin Kossatschjow in Moskau. „Das passt aber der „Partei des Krieges“ in der Ukraine kategorisch nicht“, meinte Kossatschjow.
Sein Kollege Leonid Sluzki fragte zudem kritisch, wem der Bruch der Waffenruhe am meisten nütze. Er lieferte selbst die Antwort: der Ukraine, die einen Wiederaufbau des Vertrauens zwischen Russland und dem Westen verhindern wolle. Angesichts von Diskussionen im Westen um ein mögliches Ende der Sanktionen gegen Russland forderte die Ukraine nun auch ausdrücklich, die Strafmaßnahmen gegen den „Aggressor Russland“ unter gar keinen Umständen zu lockern.