Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte vor mehr als 50 Jahren geheime Dokumente über die mangelhafte Ausrüstung der Bundeswehr veröffentlicht. Jetzt hat eine Handvoll Internet-Aktivisten Unterlagen des Verfassungsschutzes ins Netz gestellt, nach denen der Dienst eine Spezialeinheit zur Kontrolle der digitalen Kommunikation aufbauen will. Die Frage, ob das alles schon Landesverrat ist, beschäftigte bereits damals die Justiz – und sie tut es heute auch.
Mehr als 50 Jahre nach der „Spiegel“-Affäre ermitteln Staatsanwälte in Deutschland nun wieder wegen angeblichen Landesverrats gegen Journalisten – und zwar gegen den Gründer des Portals netzpolitik.org, Markus Beckedahl und seinen Kollegen Andre Meister. Beide beschäftigen sich seit langem mit dem deutsch-amerikanischen Spionageskandal, von dem Beckedahl behauptet, die Bundesregierung stecke „knietief im Sumpf von NSA und Co.“
Beide gelten als scharfe Kritiker der Geheimdienste, die das Internet ihrer Ansicht nach zu einer „globalen Totalüberwachungsmaschine“ umbauen wollen. Und beide haben es in der Netzgemeinde zu einigem Ansehen gebracht. Im vergangenen Jahr zeichnete das renommierte Grimme-Institut sie sogar mit ihrem Online-Award aus.
Das Verfahren ruht vorerst
Ob sie tatsächlich wegen Landesverrats angeklagt werden, ist alles andere als sicher – fürs Erste ruht das Verfahren jedenfalls. Nachdem Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Verfassungsschutzes, die beiden Blogger angezeigt hat, liegt der Fall bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe und die hat erst einmal eine Expertise in Auftrag gegeben, die den Verdacht erhärten oder entkräften soll. Bis dahin, verspricht Generalbundesanwalt Harald Range in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, werde mit Blick auf das hohe Gute der Pressefreiheit „mit den Ermittlungen innegehalten“.
Das Gutachten muss die Frage beantworten, ob Beckedahl und Meister überhaupt Staatsgeheimnisse verraten haben, als sie die Pläne des Verfassungsschutzes zur besseren Überwachung von Online-Netzwerken öffentlich machten. Wirklich exklusiv war die Nachricht ja schon damals nicht mehr: Über den Plan hatten zuvor auch die „Süddeutsche Zeitung“, der Norddeutsche Rundfunk und der WDR berichtet.
Bei einer Verurteilung wegen Landesverrates würde den beiden Bloggern eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr drohen. Entsprechend heftig sind die Reaktionen: Michael Konken, der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, spricht von einer Justizposse, die Grünen-Politikerin Renate Künast von einer „rechtsstaatlichen Blamage“, weil der Generalbundesanwalt einerseits nicht gegen die NSA ermittle, dafür aber „zack, zack“ gegen zwei kritische Journalisten. Beckedahl selbst versteht die Anzeige als Einschüchterungsversuch, der Berichterstatter und ihre Informanten nur von weiteren Veröffentlichungen abhalten soll – und das auch noch „gedeckt durch die Bundesregierung.“
Tatsächlich hat das Kanzleramt im Streit um die Praktiken der NSA nur mit juristischen Schritten gegen all jene gedroht, die als geheim eingestufte Unterlagen an Medien weiterreichen, nicht aber gegen Journalisten, die diese veröffentlichen. Im Umkehrschluss hieße das: Maaßen hat aus eigenem Antrieb gehandelt und Beckedal und Meister nicht in höherem Auftrag angezeigt. Er ärgert sich seit langem darüber, dass geheimes Material schnell öffentlich wird, wenn es „den parlamentarischen Bereich“ erreicht, etwa die Mitglieder des Untersuchungsausschusses oder deren Mitarbeiter. „Transparenz kann nicht so weit gehen, dass wir unsere Geschäftsgeheimnisse offen vor uns hertragen“, hat Maaßen gerade in einem Interview gewarnt. „Das würde ja unsere operative Arbeit ad absurdum führen.“ Der Verfassungsschutz sei nicht der Nachrichtendienst von Nordkorea, der die eigenen Bürger ausspitzle und beobachte.
Brief hängt gerahmt an der Wand
Beckedahl und Meister, deren Blog sich durch Spenden finanziert, wollen sich durch die Ermittlungen nicht einschüchtern lassen: „Wir freuen uns riesig über die Solidaritätswelle, die wir gerade erleben.“ Egal, wie das Verfahren endet – gewonnen haben sie in jedem Fall etwas: Aufmerksamkeit. Der Brief des Generalbundesanwaltes hängt in ihrem Büro gerahmt an der Wand.
Auch dem „Spiegel“ hat die Affäre nicht geschadet. Er wirbt heute noch mit einem Bild von damals: Rudolf Augstein, der Gründer des Magazins, zwischen zwei Polizisten, auf dem Weg in die Untersuchungshaft. Sie dauerte 103 Tage.
Journalisten und die Justiz
Mai 2015: Bei Ermittlungen gegen einen mutmaßlichen Islamisten gerät eine Journalistin ins Visier des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Laut Staatsanwaltschaft Stuttgart wurde ihr Telefon abgehört. Nach Angaben des NDR-Magazins „Zapp“ wollte sie einen Film über den Mann drehen, dem Anstiftung zu staatsgefährdenden Gewalttaten angelastet wird.
Oktober 2014: Die Ermittlungen gegen einen Reporter der „Berliner Morgenpost“ wegen Beamtenbestechung werden nach zwei Jahren eingestellt. Der Verdacht habe sich laut Staatsanwaltschaft nicht erhärtet. Der Journalist wurde verdächtigt, einen LKA-Beamten für Informationen aus laufenden Ermittlungsverfahren bestochen zu haben.
September 2005: Die Staatsanwaltschaft lässt die Redaktionsräume des Magazins „Cicero“ in Potsdam und die Wohnung eines Redakteurs durchsuchen. Hintergrund sind Ermittlungen wegen möglichen Geheimnisverrats. Ein Journalist hatte in einem Artikel über den Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi aus BKA-Geheimunterlagen zitiert.
März 1997: Kriminalbeamte durchsuchen die Redaktion des Magazins „Focus“. Laut Staatsanwaltschaft geht es um eine in der Justiz-Vollzugsanstalt Butzbach gestohlene Personalakte eines Gefangenen. August 1996: In Bremen werden Redaktionen mehrerer Zeitungen und eines Fernsehsenders durchsucht. Anlass ist die Veröffentlichung eines vertraulichen Berichts des Bremer Landesrechnungshofes über ein Haushaltsdefizit in Millionenhöhe. Januar 1994: Die Münchner Staatsanwaltschaft lässt Redaktionsräume des „Focus“ in München durchsuchen. Begründet wird das mit unerlaubten Veröffentlichungen von BKA-Ermittlungsmaterial im Zusammenhang mit dem Fall Bad Kleinen. Dort waren 1993 bei einer Anti-Terror-Aktion das RAF-Mitglied Wolfgang Grams und ein Polizist ums Leben gekommen.
Oktober 1962: Wegen des Verdachts auf Landesverrat durchsucht die Polizei die Redaktionsräume des „Spiegel“. Unter dem Titel „Bedingt abwehrbereit“ hatte das Magazin Schwächen des Nato-Verteidigungskonzeptes offengelegt. Herausgeber Rudolf Augstein und mehrere Mitarbeiter werden verhaftet. Doch die Vorwürfe ließen sich nicht belegen. Text: Dpa