Papst Franziskus hat eine kaum bemerkte Neuerung für die seit Donnerstag im Vatikan tagende Bischofsversammlung zum Thema „Jugend, Glaube und Unterscheidung der Berufung“ verfügt. Nach fünf Redebeiträgen, so sagte der Papst in seiner Eröffnungsrede, soll sich die bis zum 28. Oktober dauernde Versammlung drei Minuten lang in Stille üben.
„Diese Aufmerksamkeit für die Innerlichkeit ist der Schlüssel, um den Weg des Erkennens, des Interpretierens und der Entscheidung zu gehen“, sagte Franziskus. Wer weiß, wie viele der 267 beteiligten Bischöfe diese Stille inspiriert, das von der Wirklichkeit vorgegebene Thema der Synode aufzugreifen, den sexuellen Missbrauch durch Mitglieder des Klerus in aller Welt?
Seit Wochen drängt dieses Thema auch im Vatikan an die Oberfläche, Franziskus will sich der Frage universalkirchlich aber erst in einem Krisengipfel der Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen im kommenden Februar widmen. In Australien, in Chile, in den USA und in Deutschland haben Berichte staatlicher oder kirchlicher Stellen zuletzt das Ausmaß sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche erahnen lassen.
Der Papst selbst steht in der Schusslinie, seit der Ex-Nuntius Erzbischof Carlo Maria Vigano Franziskus im August vorwarf, den ehemaligen Erzbischof von Washington, Theodore McCarrick, als Missbrauchstäter fünf Jahre lang gedeckt zu haben. Nun wird Franziskus auch vorgeworfen, Ermittlungen im Vatikan gegen den einflussreichen britischen, bereits verstorbenen Kardinal Cormac Murphy-O'Connor untersagt zu haben. Murphy-O'Connor soll in den 1960er Jahren eine Frau missbraucht haben. Er gilt als eine der Schlüsselfiguren, die die Wahl Jorge Bergoglios im Konklave 2013 bewirkten.
Wie eine Themaverfehlung
Die Jugend-Synode, die bereits mit einigem Aufwand seit über einem Jahr vorbereitet wird, wirkt da auf den ersten Blick wie eine Themaverfehlung. Wie kann sich die Kirche mit ihrer Zukunft beschäftigen, wo sie gerade so gnadenlos von ihrer Vergangenheit eingeholt wird und sich teilweise immer noch gegen deren Aufarbeitung wehrt? Doch das Thema Missbrauch begleitet die Synode unweigerlich. Als „Vorsehung“ bezeichnete Synoden-Generalsekretär, Kardinal Lorenzo Baldisseri, die Tatsache, dass die Versammlung in „diese schwierige Situation“ falle.
Im Vorfeld forderte etwa der Erzbischof von Philadelphia, Charles Chaput, eine Absage oder Umwidmung. Mehrere italienische Opfer sexuellen Missbrauchs kamen am Mittwoch in Vatikannähe zu einem Sit-In zusammen. „Sagt diese sinnlose Synode ab oder ändert die Dinge wirklich!“, forderte Alessandro Battaglia, der behauptet, 2011 von einem italienischen Priester in Mailand missbraucht worden zu sein. Die Reform-Initiative „Wir sind Kirche“ sprach angesichts der Synode von einer „Bewährungsprobe für die Kirchenleitung“. „Gerade weil diese Bischofssynode sich mit der Berufung junger Menschen beschäftigt, muss sie sich der sexualisierten und spirituellen Gewalt gegenüber Kindern, Jugendlichen, Seminaristen und Ordensfrauen stellen“, forderte die Gruppe in einer Erklärung.
„Rendezvous mit der Zukunft“
In den vier Eröffnungsansprachen des Bischofstreffens, darunter zwei Reden von Papst Franziskus, fand das Thema explizit keine Beachtung. Wer wollte, konnte in einigen Bemerkungen allerdings unfreiwillige Bezüge zum kirchlichen Schicksalsthema Missbrauch erkennen. So sprach Franziskus angesichts des Bischofstreffens von einem „Rendezvous mit der Zukunft“.
Ob seine im programmatischen Dokument Evangelii Gaudium aufgestellte Maxime auch jetzt Geltung hat, ließ der Papst offen. Sie lautet: „Die Wirklichkeit steht über der Idee.“ Die Wirklichkeit konfrontiert die katholische Kirche derzeit mit einer ganzen Welle von nicht oder ungenügend aufgearbeiteten Missbrauchsskandalen. Die Idee ist, zu diskutieren, wie die Kirche den Kontakt zur Zukunft nicht weiter zu verlieren gedenkt.
Das Treffen ist wohl kaum als sinnlos zu bezeichnen, es kommt ganz darauf an, was die Teilnehmer daraus machen. Wie das Thema Sexualität, das in den Redebeiträgen bereits am Donnerstag vorkam, auch mit einem unverstellten Blick auf die (oft unterdrückte) Sexualität angehender Priester behandelt werden kann, könnte eine der Grundfragen der Synode werden.
Neben den 267 Bischöfen aus aller Welt sind außerdem Behördenchefs der Kurie, Ordensleute und Leiter der Ostkirchen eingeladen. Von den 49 zusätzlich eingeladenen Gasthörern sind nur 34 zwischen 18 und 29 Jahre alt. Allerdings hielt der Vatikan vor Monaten bereits ein vorbereitendes Treffen ab, zu dem vor allem Jugendliche eingeladen waren.
Aus Deutschland sind die Bischöfe Felix Genn (Münster), Stefan Oster (Passau), Weihbischof Johannes Wübbe (Osnabrück) sowie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, eingeladen. Als junge Gäste nehmen der 27-jährige Thomas Andonie, Vorsitzender der Deutschen Katholischen Jugend, und die 25-jährige Julia Braband vom Lutherischen Weltbund an der Synode teil.