In unserer mobilen Welt müssen wir dafür sorgen, dass die Verhältnisse zwischen den Ländern vergleichbar sind und überall gleiche Bedingungen herrschen. Das findet Bildungs- und Forschungsministerin Anja Karliczek. Die 47-jährige Hotelfachfrau und studierte Betriebswirtschaftlerin, seit 2013 CDU-Abgeordnete im Bundestag, ist Mutter von drei Kindern.
Frage: Frau Karliczek, der Streit zwischen CDU und CSU über die Flüchtlingspolitik bestimmt derzeit die politische Agenda. Ist davon auch in den Sitzungen des Bundeskabinetts etwas zu spüren?
Anja Karliczek: Natürlich beeinflusst das auch die Sitzungen des Kabinetts und es war auch beim deutsch-französischen Ministerrat in Meseberg ein Thema. Aber die Diskussionen werden sehr sachlich geführt.
Wie erleben Sie Innenminister Horst Seehofer?
Karliczek: Ich sitze beim Kabinettsfrühstück neben ihm, ich erlebe die Situation als ganz normal, sehr sachlich, kein Unterschied zu früher.
Dennoch stehen unverändert das Ultimatum von Horst Seehofer wie die Drohung Merkels, von der Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen. Steht die Regierung vor dem Ende?
Karliczek: Es macht mir Sorge, dass sich die Lage derart zugespitzt hat. Wir müssen einen gemeinsamen Weg finden, denn wir haben doch ein gemeinsames Ziel! Es geht doch nicht um ein Entweder/Oder. Wir müssen mit unseren europäischen Partnern eine Lösung finden und diese dann auf nationaler Ebene umsetzen, damit die Menschen uns vertrauen. Ich kann nur hoffen, dass jeder seinen Teil dazu beiträgt.
Die Handwerker suchen dringend Lehrlinge, gleichzeitig haben wir an den Universitäten überfüllte Hörsäle. Haben wir zu viele Akademiker und zu wenig Handwerker?
Karliczek: Da die Akademiker in der Regel einen Arbeitsplatz finden, stellt sich diese Frage nicht. Wir dürfen nur akademische und berufliche Bildung nicht gegeneinander ausspielen. Wichtig ist, dass jeder junge Mensch seinen Weg gehen kann und dass wir jedem etwas anbieten können. Unsere gute wirtschaftliche Situation sorgt im Moment für Engpässe auf dem Arbeitsmarkt in vielen Bereichen. Gleichwohl bin ich entschlossen, die berufliche Bildung als gleichwertigen Strang neben der akademischen Bildung neu aufzustellen, unter anderem durch eine Stärkung der Fortbildung, um auch den Fachkräften aus Handwerk und Industrie, die zu den Leistungsträgern in unserem Land gehören, weitere Aufstiegschancen zu eröffnen.
Auch an den Grund- und Regelschulen sowie den Gymnasien werden Lehrer dringend gesucht. Haben die Länder das Problem zu lange unterschätzt?
Karliczek: Der Bund hat dazu keine verlässliche Datengrundlage. Hinzu kommt, dass sich das gesamte Schulsystem in den letzten Jahren stark verändert hat, in praktisch allen Ländern gab es tiefgreifende Schulreformen. Nun geht es darum, genügend Studienplätze anzubieten, damit es wieder genügend Lehrer gibt.
Muss der Lehrerberuf attraktiver werden?
Karliczek: Der Lehrerberuf steht vor neuen Herausforderungen, weil viele gesellschaftlichen Probleme in die Schule hineingetragen werden. Daher muss die Wertschätzung dafür, was die Lehrer leisten, wachsen.
Haben Sie als Bundesbildungsministerin Verständnis, wenn die Länder sich gegenseitig die Lehrer abwerben und beispielsweise mit höheren Gehältern oder dem Beamtenstatus werben?
Karliczek: Die Länder sind dabei, dieses Problem anzugehen, damit es nicht zu Abwerbungen in hohem Ausmaß kommt. Aber natürlich sind auch Lehrer frei, ihren Arbeitsplatz zu wechseln, wenn in einem anderen Bundesland bessere Konditionen herrschen.
Bildung fängt bereits in der Kita an. Ihre Kabinettskollegin, Familienministerin Franziska Giffey von der SPD, fordert, dass Erzieher so viel verdienen sollen wie Lehrer. Was halten Sie davon?
Karliczek: Wir müssen ohnehin dringend über eine höhere Wertschätzung von Dienstleistungsberufen reden, das gilt für die Bildung wie für die Pflege. Das ist nicht immer nur eine Frage der Bezahlung. Aber wenn wir fordern, dass Erzieher mehr verdienen, müssen wir auch sagen, woher dieses Geld kommt. Dann muss vielleicht die Diskussion, ob Kita-Plätze kostenfrei sein sollen, neu geführt werden.
Der Bildungsföderalismus ist dabei, sich schleichend aufzulösen, die Länder treten bereitwillig gegen Geld Zug um Zug Kompetenzen an den Bund ab. Ist das der richtige Weg? Brauchen wir mehr Zentralismus in der Bildungspolitik?
Karliczek: Im Gegenteil, ich plädiere eindringlich dafür, den Bildungsföderalismus zu erhalten. Es ist wichtig, dass die Entscheidungen so nah wie möglich dort getroffen werden, wo sie auch ihre Auswirkungen haben. In Ländern mit einem zentralistischen Bildungssystem sind die Ergebnisse nicht besser. In unserer mobilen Welt müssen wir allerdings dafür sorgen, dass die Verhältnisse zwischen den Bundesländern vergleichbar sind und überall gleichwertige Bedingungen herrschen. Diese Themen sind auf der Tagesordnung. Es ist gut, dass sich die Länder darum kümmern. Dass der Bund das besser kann, glaube ich nicht.
Der Bund will den Ländern bis 2021 3,5 Milliarden Euro für die Digitalisierung der Schulen zur Verfügung stellen. Die Länder drücken aufs Tempo – ab wann fließt das Geld?
Karliczek: Wir sind uns einig: Erst müssen Bundestag und Bundesrat die Änderung des Grundgesetzes beschließen, die diese Zahlungen möglich macht. Dann können wir die Bund-Länder-Vereinbarung abschließen. Und dann kann ab Anfang 2019 das Geld abgerufen werden.