
Wenn nach einem Treffen in der internationalen Politik vom hohen Gut des offenen Gedankenaustauschs unter Freunden die Rede ist, geht es meistens um Zoff, der nicht beigelegt werden konnte. Beim Besuch von US-Vizepräsident Joe Biden in der Türkei am Wochenende war das nicht anders. Biden lobte die „offene Diskussion“ und nannte, das Verhältnis zwischen beiden Ländern als „so stark wie immer“, während der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan von großen Übereinstimmungen sprach. Dabei waren beide Politiker in den vergangenen Wochen öffentlich aneinandergeraten.
Bei Bidens Besuch scheiterte die Türkei damit, die USA für ihren Plan zur Einrichtung militärisch gesicherter Schutzzonen im benachbarten Bürgerkriegsland Syrien zu gewinnen. Die Türkei drängt darauf, in Syrien nicht nur gegen die Dschihadisten vom „Islamischen Staat“ (IS) zu kämpfen, sondern auch gegen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad. Die USA lehnen das ab. US-Politiker fordern zwar ebenfalls einen Regimewechsel in Damaskus. Doch Washington ist bisher nicht bereit, dafür etwas Konkretes zu tun. Die US-Luftangriffe in Syrien richten sich gegen den IS und andere islamistische Milizen. Erdogan sagte nach seinem Treffen mit Biden, man wolle im Gespräch bleiben. Mehr konnte er nicht erreichen.
Türkei steht weitgehend allein da
Als Resultat ihrer grundsätzlichen Differenzen kommen Türken und Amerikaner bei den Bemühungen um eine gemeinsame Syrien-Strategie nicht weiter. So sind sie sich einig, dass gemäßigte syrische Rebellen in der Türkei ausgebildet und bewaffnet werden sollen – doch es gibt keine Einigung darüber, gegen welchen Feind in Syrien diese Rebellen nach ihrer Ausbildung kämpfen sollen. Weil die USA die türkischen Forderungen nach Schutzzonen und nach Verhängung eines Flugverbots über Syrien ablehnen, erlaubt die Türkei im Gegenzug der US-Luftwaffe nicht, die Dschihadisten in Syrien und im Irak von türkischen Stützpunkten aus anzugreifen.
Im Kreis ihrer westlichen Verbündeten steht die Türkei mit ihren Zielen und Plänen für eine aktive Intervention des Auslands in Syrien zur Beseitigung der Assad-Regierung weitgehend allein. Lediglich Frankreich hat bisher Zustimmung zu Ankaras Positionen signalisiert. Die türkische Regierung argumentiert, Assads Sturz sei Grundvoraussetzung für alles andere in Syrien. „Ohne dass dies geschieht, wird es unmöglich sein, den IS loszuwerden“, sagte ein türkischer Regierungsvertreter in den vergangenen Tagen.
Ankara wolle eine „umfassende Strategie“ für Syrien sehen, war vor Bidens Besuch in türkischen Regierungskreisen zu hören gewesen – sprich: einen Plan für Assads Entmachtung. Doch daraus wurde nichts. Anfang Oktober hatte Biden den Zorn Erdogans auf sich gezogen, indem er sagte, der türkische Präsident habe ihm gegenüber zugegeben, mit der Tolerierung islamistischer Kämpfer im türkisch-syrischen Grenzgebiet einen Fehler begangen zu haben. Erbost forderte Erdogan eine Entschuldigung, die Biden laut dem US-Präsidialamt auch lieferte. Biden selbst sagte später, er habe sich nicht entschuldigt.
Biden übt Kritik
In Istanbul ließ der US-Vizepräsident durchblicken, wie er über den starken Mann der Türkei und dessen autokratische Tendenzen denkt. Die Konzentration von zu viel Macht in einer Hand könne „zersetzende“ Kraft entfalten, warnte er bei einer Veranstaltung türkischer Verbände zum Thema Gewaltenteilung. Er nannte Erdogan nicht beim Namen, doch das musste er auch nicht. Sein Publikum verstand auch so, wer gemeint war.
Biden kündigte außerdem eine weitere Millionenhilfe der US-Regierung für die vom Bürgerkrieg betroffene syrische Bevölkerung an. Die Summe von 135 Millionen Dollar (110 Millionen Euro) sei für Flüchtlinge im eigenen Land wie auch in Nachbarländern wie der Türkei bestimmt. Mit Informationen der dpa