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BERLIN
„Berlin ist fast wie Griechenland“
Von unserem Korrespondenten Rudi Wais
 |  aktualisiert: 30.07.2012 19:41 Uhr

Unter den vielen Grünanlagen Berlins ist der Ernst-Thälmann-Park eine der unansehnlichsten. Hinter dem schon etwas heruntergekommenen Denkmal des Kommunistenführers reihen sich triste Plattenbauten aneinander, neben einer verwitterten Sitzgruppe türmt sich der Müll des Wochenendes, und der Lärm einer nahegelegenen Straße nimmt auch dem hartgesottensten Großstadtmenschen jede Illusion von Ruhe. Dafür hat der kleine Teich am Rande des Parks vom Senat eine neue Brücke spendiert bekommen: Zehn Meter lang, stabil gebaut aus Beton und Stahl und 78 000 Euro teuer. Nur einen Schönheitsfehler haben die Stadtplaner in ihrem Eifer übersehen: Niemand braucht diese Brücke. Um den Tümpel können Spaziergänger problemlos herumgehen. Alexander Kraus, der in Berlin die Geschäfte des Bundes der Steuerzahler führt, hat es ausprobiert: Die neue Brücke, sagt er, habe ihm einen Fußweg von 45 Sekunden erspart.

Verglichen mit den mehr als 63 Milliarden Euro, mit denen die Hauptstadt inzwischen in der Kreide steht, sind 78 000 Euro ein Klacks. Für eine Regierung wie die von Horst Seehofer sind sie eine Provokation. Drei Milliarden Euro fließen aus Bayern jedes Jahr über den sogenannten Länderfinanzausgleich ins notorisch klamme und wirtschaftsschwache Berlin, das sich mit diesen drei Milliarden Dinge leistet, die Bayern sich entweder nicht leisten kann oder nicht leisten mag. Deshalb, vor allem, will Seehofer jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Umverteilung klagen. „Wir sind bereit zur Solidarität“, sagt er. Einige der sogenannten Nehmerländer aber hätten sich mit dem Steuergeld aus Bayern „wohlig eingerichtet“ und wollten ungern darauf verzichten.

Wofür der parteilose Berliner Finanzsenator Ulrich Nußbaum die Überweisungen aus München alles verwendet, lässt sich so genau nicht sagen: Wie die Hilfen des Bundes von mehr als 1,5 Milliarden Euro im Jahr landen sie schlicht und einfach in der Landeskasse. Dafür zahlen Eltern in Berlin dann für die letzten drei Kindergartenjahre keine Gebühren – bayerische Eltern schon. Berliner Universitäten verlangen von ihren Studenten keine Studiengebühren – bayerische Hochschulen sehr wohl. Und damit das Geld aus der großen Umverteilungsmaschine auch ja nicht versiegt, hat die rot-rote Koalition vor zehn Jahren das sogenannte Begrüßungsgeld eingeführt: Studenten, die aus anderen Bundesländern zuziehen und sich in der Hauptstadt mit ihrem Hauptwohnsitz anmelden, hat Berlin bis vor wenigen Wochen mit einer Prämie von 100 Euro belohnt. Ein gutes Geschäft: Aus dem Länderfinanzausgleich erhält Nußbaum für jeden Neuberliner 3600 Euro im Jahr.

Zum Beginn des Herbstsemesters hat die neue Regierung aus SPD und CDU das Begrüßungsgeld zwar auf 50 Euro halbiert, ganz abschaffen aber wollte auch sie es nicht – obwohl Bürgermeister Klaus Wowereit vor Jahren schon die Devise ausgegeben hat, Berlin müsse „sparen, bis es quietscht“. Tatsächlich jedoch geht die subventionsverwöhnte Hauptstadt vor allem im Kleinen sehr großzügig mit dem Geld um, das sie eigentlich gar nicht hat. In Augsburg, zum Beispiel, zahlen Eltern an der städtischen Musikschule für 45 Minuten Geigenunterricht pro Woche und das Ausleihen des Instrumentes 988 Euro im Jahr. In München sind es 1005 Euro – in Berlin dagegen bekäme das gleiche Kind den gleichen Unterricht und die gleiche Leih-Geige für 878 Euro. Das Defizit der Schule trägt, hier wie dort, der Steuerzahler, und zwar in beiden Fällen der bayerische.

Weitere Beispiele gefällig? In fast allen Bundesländern müssen sich Anwohner, sobald eine Straße asphaltiert oder ein Kanal saniert wird, an den Kosten beteiligen – in Berlin nicht. Andere Großstädte wiederum wären froh über eine Gemäldegalerie wie die am Potsdamer Platz mit annähernd 1000 alten Meisterwerken.

„Die Stadt ist vollgepumpt mit Subventionen, wie ein Ringer mit Steroiden.“

Roger Boyes, Korrespondent der britischen „Times“, über Berlin

Berlin dagegen diskutiert keine 15 Jahre nach deren Eröffnung schon wieder über einen Neubau, weil eine einflussreiche Gruppe von Kulturschaffenden die Sammlung gerne verlegen und die Museumsinsel in der Spree damit zu einer Art Berliner Louvre machen will. Geschätzte Kosten: 200 Millionen Euro, mindestens. Kein Wunder, dass eher liberal gesonnene Ökonomen wie der Freiburger Professor Bernd Raffelhüschen die Stadt allmählich aufgeben. „Berlin“, seufzte dieser schon im vergangenen Jahr, „ist fast wie Griechenland“. Der scheidende Korrespondent der britischen „Times“, Roger Boyes, klagte zum Abschied gar, die Stadt sei mit Subventionen vollgepumpt „wie ein Ringer mit Steroiden“.

Da allerdings sprach noch niemand von einer neuen Gemäldegalerie, und auch auf der Baustelle für den Großflughafen im Südosten der Stadt schienen die Dinge noch einigermaßen im Lot. Mittlerweile jedoch addieren sich die erwarteten Mehrkosten durch das Verschieben der Eröffnung und etliche Planungsfehler auf 1,1 Milliarden Euro. Dass die Flughafengesellschaft, die dem Bund, Berlin und Brandenburg gemeinsam gehört, dieses Geld nach der Inbetriebnahme selbst erwirtschaften wird, gilt als eher unwahrscheinlich. Das heißt: Die Gesellschafter müssen einspringen. Selbst der sonst so fröhliche Wowereit, der seine Stadt gerne mit dem Slogan verkauft, sie sei mit einer Verschuldung von umgerechnet 18 000 Euro pro Kopf zwar arm, aber sexy, kommt deshalb neuerdings ziemlich zerknirscht daher. „Ja“, räumte er im Abgeordnetenhaus ein, „es ist ein Desaster“.

Nur eines hört der smarte Sozialdemokrat nicht gerne: Kritik aus Bayern. Berlin könne selbst bestimmen, wofür es sein Geld ausgebe, kontert Wowereit – und beruft sich aufs Grundgesetz. Der Finanzausgleich, so steht es dort, diene „der Herstellung gleicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“. Das aber ist, wie so oft in der Juristerei, Interpretationssache. Viele junge Familien zum Beispiel leben in Berlin besser als Familien mit vergleichbarem Einkommen in München: Ihre Wohnungen sind größer und günstiger, die Kindergartengebühren abgeschafft und die Geigenstunden nicht ganz so teuer. Auch Nikolaus Bachler, der Intendant der Münchner Oper, schielt schon lange eifersüchtig nach Berlin, wo das Geld für die Kultur offenbar lockerer sitzt: „Wir kriegen einfach die guten jungen Leute nicht mehr, weil Herr Wowereit in Berlin Herrn Barenboim so mit Geld überschüttet, dass die Musiker dort um vieles mehr verdienen als hier.“ Mit länderübergreifender Solidarität, findet Bachler, „hat das nichts zu tun.“

Noch im Herbst will die bayerische Regierung ihre Klage gegen den Finanzausgleich beim Bundesverfassungsgericht einreichen – in der Hoffnung, dass Karlsruhe die sogenannten Nehmerländer zu größeren eigenen Anstrengungen zwingt. „Was die Griechen leisten müssen, können auch Bremen und Berlin schaffen“, verlangt Seehofers Finanzminister Markus Söder. Das klingt zwar schon sehr nach beginnendem Wahlkampf, trifft die Berliner Politik aber an ihrer wundesten Stelle. Eine Stadt ohne größere Industrie, mit einer Arbeitslosenquote von 13 Prozent und 100 000 Vollzeitstellen im öffentlichen Dienst zieht sich nicht so leicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf. „Wenn Bayern nicht mehr zahlt“, unkt der örtliche „Tagesspiegel“ deshalb, „kann Berlin den Laden dichtmachen.“

 
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