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Bekenntnisse einer Terrorbraut
Der Tag der Aussage: Auf diesen Moment haben alle gewartet. Was würde Beate Zschäpe zur Aufklärung der NSU-Morde beitragen? Eine Geschichte über eine große Inszenierung und noch größere Enttäuschungen.
NSU-Prozess       -  Beate Zschäpe neben ihren Verteidigern Mathias Grasel (rechts) und Hermann Borchert.
Foto: Tobias Hase, dpa | Beate Zschäpe neben ihren Verteidigern Mathias Grasel (rechts) und Hermann Borchert.
Von unseren Mitarbeitern Roland Englisch und Holger Sabinsky-Wolf
 |  aktualisiert: 21.12.2015 03:53 Uhr

Es soll eine perfekte Inszenierung werden. Beate Zschäpe kommt nicht in den Sitzungssaal, sie erscheint. Alles an ihr soll Ehrlichkeit signalisieren, Betroffenheit. Das Haar offen, der Hosenanzug dezent, Halstuch und Make-up zurückhaltend. Vor allem aber: Sie lässt sich fotografieren, sie dreht der Öffentlichkeit nicht mehr wie an den anderen 248 Prozesstagen demonstrativ den Rücken zu.

Mathias Grasel und Hermann Borchert setzen an diesem Morgen alles auf eine Karte. „Meine Anwälte“ wird sie die beiden in ihrer schriftlichen Erklärung am Ende nennen, als ob Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm neben ihr gar nicht existierten. 88 Minuten braucht Grasel, bis er das 53-seitige Geständnis seiner Mandantin verlesen hat. Und die drei Altverteidiger lassen mehr als einmal erkennen, für wie falsch sie halten, was sie da hören. Sie schütteln den Kopf, tuscheln, deuten auf einzelne Passagen des Textes.

Aber was heißt schon „Geständnis“? Es ist eine Erklärung nach jahrelangem Schweigen, die mit dem Fazit endet: Zschäpe will nichts gewusst, nichts gesehen und fast nichts getan haben. Die Aufklärung der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ist kein bisschen vorangekommen.

Vielleicht hat sich die Öffentlichkeit von diesem Tag auch zu viel versprochen bei all dem Wirbel im Vorfeld, den auch die Zschäpe-Anwälte gemacht haben. Alles, so wirkte es, steuert jetzt auf den Höhepunkt des Prozesses zu. Nichts soll da schiefgehen. Selbst der Richter, der als harter Hund gilt, erschien auf einmal handzahm. Manfred Götzl hat in seiner Zeit als Münchner Schwurgerichtsvorsitzender immer wieder Anwälte, Gutachter oder Zeugen rundgemacht. Viele Angeklagte hat er lebenslang hinter Gitter geschickt. Wo Götzl richtet, ist er der Chef im Ring.

Zschäpe diktiert die Bedingungen

Doch am Dienstag, einen Tag vor der Zschäpe-Aussage, klang er plötzlich zurückhaltend. Götzl fragte: „Soll heute eine Erklärung von Frau Zschäpe abgegeben werden?“ Zschäpes neuer, junger Anwalt Matthias Grasel antwortete: „Die Einlassung ist nicht für heute, sondern für morgen vorgesehen.“ Götzl fragte weiter: „Frau Zschäpe, wie geht es Ihnen?“ Zschäpe nickte nur.

Später sagte Grasel noch, für die Beantwortung von Fragen der Prozessbeteiligten stelle er sich einen schriftlichen Fragenkatalog vor. Zschäpe werde nicht selbst antworten. Und im Übrigen: Das Gericht solle bitte sehr den Donnerstag als Prozesstermin streichen, weil die Aussage doch sehr belastend wird. Und noch etwas: Rechtsanwalt Hermann Borchert, der offenbar seit vielen Wochen hinter den Kulissen mitmischt, soll als Pflichtverteidiger bestellt werden. Als fünfter. Wie hätten Sie's denn gerne? Wie ist es möglich, dass die mutmaßliche Mittäterin einer rechtsextremen Mordserie mit zehn Toten die Bedingungen in ihrem Verfahren diktiert?

Ein Vorsitzender Richter hat in einem Strafprozess viel Macht. Die Strafprozessordnung erlaubt ihm allerhand. Er bestimmt den Verlauf des Verfahrens, er kann allen anderen im Saal das Wort abschneiden, er kann Menschen in Beugehaft nehmen. Was er nicht kann: Einer Angeklagten vorschreiben, ob, wann und wie sie aussagen will. Das ist ganz allein ihre Sache und die ihrer Verteidiger.

So lässt Beate Zschäpe an diesem grauen Mittwochmorgen also ihren Anwalt Mathias Grasel sprechen. Seine Erklärung folgt drei groben Linien. Zschäpe gibt zu, dass sie von den Banküberfällen gewusst hat, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die beiden anderen mutmaßlichen NSU-Mitglieder, ihr auch von den Morden und den Bombenanschlägen erzählt haben, aber stets erst hinterher. Sie bestreitet jede Tatbeteiligung, sagt im Gegenteil, sie habe sich immer mit den beiden deswegen gestritten, sie sei „fassungslos“ gewesen, „unglaublich enttäuscht“, dass sie wieder gemordet hatten. Dass sie trotzdem bei ihnen geblieben ist, schiebt sie auf ihre Gefühle für Uwe Böhnhardt. Auf ihre finanzielle Abhängigkeit von den beiden. Und auf ihre Angst vor dem Gefängnis.

Zschäpe benennt drei Schuldige: Böhnhardt, Mundlos und Tino Brandt, der als V-Mann für den Verfassungsschutz in der Szene war, liquide dank staatlicher Mittel und treibende Kraft in der Thüringer Neonazi-Szene der 1990er Jahre. Brandt, so stellt sie es dar, hat aus harmlosen Neonazis einen aktiven Kreis gebildet, eine schlagkräftige Truppe. Mittendrin: Beate Zschäpe, nach eigener Aussage verliebt erst in Mundlos, dann in Böhnhardt, der eine weit rechts, der andere noch radikaler, beide verantwortlich für „unsinnige Aktionen“, wie sie „rückblickend“ sagen wolle. Wer ihrer Aussage zuhört, hört die Geschichte einer jungen unerfahrenen Frau, die aus Liebe in etwas rutscht, das sie nicht überblickt.

Zwar gibt sie zu, dass sie die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße in Brand gesteckt hat, in der die Gruppe zeitweise lebte. Doch zu den Mitangeklagten, zu Helfern des NSU, zur eigenen Gesinnung, zu den Motiven oder den Kriterien, die unbescholtene Migranten zu Mordopfern machten, sagt sie kein Wort. Nur, dass sie nie Mitglied des NSU gewesen sei, dieser sei „einzig und allein die Idee des Uwe Mundlos“ gewesen.

Dann, nach fast eineinhalb Stunden, sagt Zschäpes Anwalt, sie fühle sich „moralisch schuldig“. Daran, dass sie zehn Morde und zwei Bombenattentate nicht verhindert habe. Und daran, dass Menschen bei 15 Überfällen verletzt oder traumatisiert worden sind. Sie wolle sich „aufrichtig entschuldigen“ bei allen Opfern und den Angehörigen der Opfer von Böhnhardt und Mundlos.

Seit mehr als vier Jahren sitzt Beate Zschäpe in Untersuchungshaft. Bisher hatte sie kein Wort beigetragen zur Erhellung der Strukturen der Mörderbande und zu den konkreten Taten. Klar schien bislang nur: Die Beweislage reicht für eine saftige Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord allemal aus. Zschäpe war vollwertiges Mitglied des NSU.

Aber wie das alles genau funktioniert hat, wie die Taten unentdeckt bleiben konnten, warum der NSU so gehandelt hat – all das war bisher eine schmerzliche Lücke in den politischen und strafrechtlichen Aufarbeitungsversuchen. Und ist es immer noch. Zschäpe sieht sich allenfalls als Mitläuferin. Sie will Böhnhardt und Mundlos immer wieder geholfen haben, aber nie genau gewusst haben, was die beiden treiben. Sie sagt, sie ging mit ihnen 1998 in den Untergrund und blieb dort aus Angst vor der Haft.

Ihr sei in diesem Moment „völlig klar“ geworden, „dass es kein Zurück mehr ins bürgerliche Leben gab“. Obwohl sie eine „innere Leere“ gefühlt, die beiden zur Rede gestellt, mit ihnen gestritten habe,

Sie sagt, Böhnhardt und Mundlos hätten ihr zuletzt vier Morde auf einmal gestanden. Und dass die Polizistin Michele Kiesewetter in Heilbronn nur deshalb habe sterben müssen, weil die zwei mit ihren eigenen Waffen der „vielen Ladehemmungen“ wegen unzufrieden waren. Die der Polizei seien ihnen zuverlässiger erschienen. Sie habe sie gefragt, sagt Zschäpes Anwalt, „warum sie die Waffen nicht in einem Waffengeschäft rauben“ – als ob sie davon ausging, dass die Mordserie noch nicht zu Ende ist.

Und wie erklärt sie sich den 4. November 2011, den Tag, an dem Mundlos und Böhnhardt nach einem missglückten Banküberfall tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden wurden? Es sei ein Tod gewesen, den die beiden lange vorher angekündigt hätten, lässt Zschäpe ausrichten. „Wir haben?s verkackt“, sollen sie gesagt haben. Für sie sei klar gewesen, dass sie sich nie würden festnehmen lassen und „sich entweder den Weg freischießen oder sich die Kugel geben“.

Ende des „Geständnisses“. Und irgendwie auch Ende des tagelangen Prozesstheaters, das von der Taktik der neuen Verteidiger geprägt war. Sie wollten aus der Defensive kommen und selbst mitbestimmen, wie es weitergeht. So, wie es aussieht, sind sie damit gescheitert. Zu deutlich scheint die Zschäpe-Erklärung von der Taktik bestimmt.

Enttäuschte Reaktionen

Die Reaktionen jedenfalls fallen verheerend aus. Gamze Kubasik, Tochter des im April 2006 in Dortmund erschossenen Kioskbetreibers Mehmet Kubasik, weist Zschäpes Entschuldigung zurück. Mit ihrer Aussage versuche die Angeklagte vielmehr, „sich aus der Verantwortung zu ziehen“. Sie glaube Zschäpe kein Wort. Nebenklage-Anwälte äußern sich ähnlich. Stephan Lucas sagt: „Wenn das alles ist, was Frau Zschäpe uns zu sagen hatte, dann hätte sie besser gar nichts gesagt.“

Ob die Erklärung der Angeklagten im Urteil etwas bringen wird, darf bezweifelt werden. Ein Abschwören von der braunen Ideologie – Fehlanzeige. Die Entschuldigung an die Hinterbliebenen – wenig glaubwürdig. So bleiben am Ende doch viele Fragen offen: Ist an der Aussage überhaupt etwas Wahres dran? Und: Wie plausibel ist die Darstellung?

„Rückblickend muss ich mir eingestehen“, sagt Beate Zschäpe mit der Stimme ihres Anwalts, „dass ich mit zwei Menschen zusammengelebt habe, die im täglichen Leben zuvorkommend, tierlieb, hilfsbereit und lieb waren und andererseits mit unvorstellbarer Kälte Menschen getötet haben.“ Ahnungslos, hilflos, unterwürfig, naiv, auf jeden Fall der Situation nicht gewachsen und heute von Schuldgefühlen zerfressen – so wollen Zschäpes Anwälte, dass die Welt ihre Mandantin sieht.

Die Anklage der Bundesanwaltschaft klingt völlig anders als die Einlassung Zschäpes. Diesen Widerspruch aufzulösen ist nun die Aufgabe des Gerichts. So war es aber auch schon vorher. Die Zschäpe-Aussage hat nichts geändert.

Die blutige Spur der Terrorgruppe NSU

9. September 2000, Nürnberg: Mit mehreren Schüssen töten die mutmaßlichen Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt den türkischen Blumenhändler Enver Simsek, 38. 19. Januar 2001, Köln: In einem iranischen Lebensmittelgeschäft explodiert ein Sprengsatz. Die Tochter des Chefs, 19, wird schwer verletzt. 13. Juni 2001, Nürnberg: Der Türke Abdurrahim Özüdogru, 49, wird in seiner Schneiderei erschossen. 27. Juni 2001, Hamburg: Mit Kopfschüssen wird Süleyman Tasköprü, 31, in seinem Laden getötet. 29. August 2001, München: Habil Kilic, 38, wird in seinem Gemüsegeschäft erschossen. 25. Februar 2004, Rostock: Der 25-jährige Türke Mehmet Turgut wird in einem Imbiss erschossen. 9. Juni 2004, Köln: Eine Nagelbombe explodiert in der Keupstraße. Mehr als 20 Menschen werden verletzt. 9. Juni 2005, Nürnberg: Ismail Yasar, 50, wird in seinem Döner-Imbiss erschossen. 15. Juni 2005, München: Der 41-jährige Grieche Theodoros Boulgarides wird durch Schüsse in seinem Schlüsseldienst getötet. 4. April 2006, Dortmund: Der türkischstämmige Kioskbetreiber Mehmet Kubasik, 39, wird hinter der Verkaufstheke erschossen. 6. April 2006, Kassel: Halit Yozgat, 21, wird in seinem Internet-Café erschossen.

25. April 2007, Heilbronn: Der Polizistin Michele Kiesewetter, 22, und ihrem Kollegen, 24, schießen die mutmaßlichen Täter Mundlos und Böhnhardt in den Kopf. Kiesewetter stirbt, ihr Kollege überlebt. Text: dpa

 
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