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Beim Dieselgipfel rauchen die Köpfe
Autokrise: Politik und Industrie wollen beraten. Es geht ums Geld vieler Autobesitzer, um die Umwelt und die Zukunft der deutschen Autobauer.
Bernhard Junginger
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:41 Uhr

Die deutsche Autoindustrie steht mächtig unter Druck. Seit Volkswagen 2015 zugegeben hat, dass weltweit bei elf Millionen Dieselfahrzeugen Abgaswerte manipuliert wurden, sind weitere Hersteller in den Strudel der Affäre geraten. Nun kommen auch noch Vorwürfe hinzu, führende deutsche Autobauer hätten jahrelang ein Kartell gebildet. Am Mittwoch treffen sich Vertreter von Politik und Industrie, um über die Konsequenzen aus der Dieselaffäre zu beraten. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wer nimmt am Dieselgipfel teil?

Gastgeber sind Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), erwartet werden auch Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) und Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU), ein Vertreter des Bundeskanzleramts sowie die Ministerpräsidenten von neun Bundesländern. Für die Autoindustrie sitzen die Firmen Volkswagen, Mercedes, BMW, Ford und Opel und ihre Interessenverbände am Tisch. Hinzu kommen Vertreter der IG Metall und des Deutschen Städtetags. Kanzlerin Angela Merkel ist nicht persönlich dabei, wird sich aber an ihrem Urlaubsort in Südtirol von einem engen Vertrauten auf dem Laufenden halten lassen.

Was fordert die Bundesregierung?

Ulrich Lange, der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag: „Wir erwarten von der Autoindustrie, dass sie endlich ihrer Verantwortung gerecht wird und Angebote vorlegt, wie man die Einhaltung der Abgasgrenzwerte erreichen kann.“ Die Regierung, so wurde bekannt, werde nicht akzeptieren, dass die angestrebten Abgasnachrüstungen den Autobesitzern Nachteile bringen. Der Kraftstoffverbrauch dürfe sich nicht erhöhen. Konkret will die Regierung die Hersteller zu Softwarenachrüstungen für mehrere Millionen Dieselautos der Abgasklassen Euro 5 und Euro 6 verpflichten – auf deren Kosten.

Bleibt es bei reinen Software-Updates?

Erwartet, aber nicht verbindlich gefordert, werden von der Bundesregierung offenbar auch „wirtschaftlich vertretbare“ Maßnahmen, die über Softwarenachrüstungen hinausgehen. Etwa neue technische Systeme zur Abgasreinigung. Dafür sollen die Hersteller Konzepte entwickeln. Bis Oktober haben die Unternehmen Zeit, ein Konzept für realitätsnähere Abgastests vorzulegen. Diesel-Fahrverbote in Städten stehen anscheinend nicht im Forderungskatalog der Politik.

Was bieten die Autohersteller bisher an?

Die Unternehmen halten bislang reine Software-Updates, also die vergleichsweise günstige Aktualisierung der Steuerprogramme für die Abgasreinigung, für ausreichend.

Welche Druckmittel hat die Politik

gegenüber der Industrie?

Verkehrsminister Dobrindt hat mit einem Zulassungsverbot für eine bestimmte Dieselausführung des Porsche Cayenne bereits seine Muskeln spielen lassen. Gleichzeitig sind sogar neue Fördermaßnahmen im Gespräch, etwa steuerfinanzierte Kaufanreize für saubere Wagen, wie sie etwa Horst Seehofer, Ministerpräsident von Bayern, der Heimat von Audi und BMW, oder sein niedersächsischer Amtskollege Stephan Weil anregen. Das Land Niedersachsen ist Großaktionär bei Volkswagen. Doch beim Dieselgipfel sollen solche staatlichen Anreize offenbar nicht vereinbart werden, wurde am Dienstag bekannt. Absatzfördernde Maßnahmen müssten die Hersteller demnach selbst finanzieren.

Wie wichtig ist die Autoindustrie für Deutschland?

Die deutsche Autobranche bietet rund 800 000 Menschen einen Arbeitsplatz, sie bestreitet ein Fünftel der deutschen Exporte. Deshalb steckt die Bundesregierung in einem Dilemma. So verschnupft die Politik sich angesichts des Dieselskandals und der jüngsten Kartellvorwürfe zeigt – abstrafen und gegenüber der ausländischen Konkurrenz schwächen will die Regierung die Branche sicher nicht.

Wie ist die Position der Wirtschaft?

Zu viele Einschränkungen für die Dieseltechnik könnten nicht nur der Autoindustrie, sondern dem Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt schaden, befürchten Vertreter der Wirtschaftsorganisationen. Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU: „Ohne den kostengünstigen wie klimafreundlicheren Dieselantrieb würde die gesamte Logistik-Lieferkette in Deutschland beschädigt werden, und es hätten dazu noch Millionen Pendler enorme Mehrosten.“

Und was sagen die Umweltverbände?

Laut Greenpeace sind seit Bekanntwerden des Dieselskandals fast 20 000 vorzeitige Todesfälle durch Stickoxide zu beklagen. Die Deutsche Umwelthilfe hält die geplanten Software-Updates für weder ausreichend noch rechtens. Geschäftsführer Jürgen Resch beklagt eine „konspirative Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Behörden“.

Wie verflochten sind Politik und Autoindustrie wirklich?

Zumindest scheinen lukrative Posten in der Autobranche bei ehemaligen Politikern sehr beliebt zu sein. Matthias Wissman, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie, war Bundesverkehrsminister, Daimler-Cheflobbyist Eckart von Klaeden war Staatsminister im Kanzleramt und VW-Cheflobbyist Thomas Steg war 2009 Vize-Regierungssprecher und danach Wahlkampfberater der SPD.

Wird es für deutsche Autokäufer künftig auch Sammelklagen nach amerikanischem Vorbild geben?

Bislang muss in Deutschland jeder Autokäufer, der sich von einem Autokonzern betrogen fühlt, einzeln gerichtlich gegen diesen vorgehen. Ein Prozess stellt für den Verbraucher ein hohes finanzielles Risiko dar, die Konzerne dagegen stellen sich in Schadensersatzprozessen oft stur.

In den USA sind Sammelklagen möglich, dort hat VW die im Dieselskandal geschädigten Käufer pauschal entschädigt. Dies soll künftig auch in Deutschland möglich sein, fordert etwa Justizminister Heiko Maas (SPD). Die Union ist bisherig zurückhaltend, doch die Ablehnung bröckelt. Zuletzt hatte Alexander Dobrindt durchblicken lassen, für Verbraucherklagen „grundsätzlich offen“ zu sein.

Sind Dieselskandal und die jüngsten Kartellvorwürfe die einzigen Herausforderungen für die deutsche Autoindustrie?

Nein. Momentan sind deutsche Autos zwar weltweit gefragt, doch in vielen wichtigen Absatzmärkten der deutschen Autobauer geht der Trend eindeutig hin zum Elektrofahrzeug. Nach Meinung vieler Analysten hat die deutsche Industrie diese Technik zu lange vernachlässigt und einseitig auf den Verbrennungsmotor gesetzt. Gerade hat der US-Hersteller Tesla mit der Vorstellung des Model 3 den Sprung aus dem Luxus-Segment in den Mittelklasse-Markt vollzogen. Die deutschen Autohersteller arbeiten nun mit Hochdruck daran, ihren Rückstand in der Zukunftstechnologie aufzuholen.

„Ohne den Dieselantrieb würde die Logistik-Lieferkette in Deutschland beschädigt werden.“
Wolfgang Steiger, Wirtschaftsrat der CDU
 
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