Im Europäischen Parlament gab es lang anhaltenden Beifall, als Präsident Martin Schulz den Tenor des Urteils bekannt gab. „Da haben wir ja schon die erste gute Nachricht des Tages“, rief der Fraktionschef der Liberalen und frühere belgische Premier, Guy Verhofstadt, in die Runde.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes soll jetzt alles sehr schnell gehen. Schon am 8. Oktober will Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker erstmals den Gouverneursrat, das Spitzengremium des ESM, zusammenrufen, damit der Hilfsfonds seine Arbeit beginnen kann. Ganz so einfach und vor allem so schnell dürfte es jedoch nicht gehen. Denn die, die so schnell reagierten, haben zwar das „Ja“ aus Karlsruhe gehört, das „aber“ jedoch nicht mitbekommen.
Denn die obersten deutschen Richter legten der Bundesregierung Nachbesserungen auf, die diese erst noch umsetzen muss, ehe der Vertrag über den „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ ratifiziert werden kann. So untersagte Karlsruhe genau das, was viele Staats- und Regierungschefs, Finanzminister und nicht zuletzt die Europäische Zentralbank (EZB) eigentlich erreichen wollten: Der ESM sollte eine Banklizenz bekommen, um sich in Frankfurt jenes Geld leihen zu können, mit dem er Staatsanleihen überschuldeter Länder aufkauft und diese dann an die EZB weiterreicht. Ein Umweg, der es der Euro-Notenbank erspart hätte, selbst am Primärmarkt tätig zu werden. Doch genau das ist jetzt nicht möglich – zur Freude der Bundeskanzlerin, die diese Aufwertung des ESM immer schon abgelehnt hatte.
Die wird ihren Euro-Partnern aber noch eine andere schlechte Nachricht beibringen müssen. Da das Bundesverfassungsgericht die Obergrenze für eine deutsche Haftung bei 190 Milliarden Euro gezogen hat, muss sich die Bundesrepublik von einer zentralen Klausel im ESM-Vertrag zurückziehen. Die sah nämlich vor, dass bei Ausfall eines Zahlers alle anderen dessen Bareinlagen und Bürgschaften übernehmen.
Die Regel sah anderes vor: Wenn beispielsweise Italien oder Spanien ihre Beiträge nicht mehr entrichten können, müsste Deutschland einen Anteil übernehmen – ohne dass der Bundestag eine Möglichkeit zur Mitwirkung hätte. Das Bundesverfassungsgericht hat dieser automatischen Anhebung des deutschen Beitrags einen Riegel vorgeschoben. Ob eine Ausnahme rechtlich möglich ist, wusste am Mittwoch niemand zu sagen. Schließlich bedeutet diese Einschränkung de facto die Änderung eines Vertrages, der in dieser Form schon von den meisten Mitgliedsstaaten ratifiziert wurde.
Kommissionspräsident José Manuel Barroso jedenfalls stellte bereits die nächsten Schritte für Europa in Aussicht. Er sprach sich dafür aus, einen neuen europäischen Vertrag auszuarbeiten, um die Gemeinschaft zu einem „Staatenbund souveräner Staaten“ fortzuentwickeln. Dazu solle dann auch eine Bankenunion gehören, die die Haftung aller Geldinstitute (und damit ihrer Kunden) für alle anderen Banken mit sich bringt.