Die „hessischen Verhältnisse“ haben es sogar als geflügeltes Wort in den Duden geschafft: Seit langem kennt das Bundesland mit rund sechs Millionen Einwohnern knappe Wahlausgänge und unklare Mehrheiten. Bei der Landtagswahl am 22. September könnte es wieder so kommen. Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der schwarz-gelben Regierung von CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier und der rot-grünen Opposition voraus.
Die konservative Hessen-CDU wird mit knapp 40 Prozent zwar deutlich vor der SPD gehandelt. Doch die FDP könnte an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern und liegt weiter hinter den Grünen. Eines haben die Parteien in Wiesbaden inzwischen gelernt: Trotz der scharfen Polarisierung im Landtag gibt es keine „Ausschließeritis“. Zumindest theoretisch sollen alle miteinander koalitionsfähig sein. Dabei schließt Schwarz-Gelb allerdings die Linke grundsätzlich aus.
Trotz des anhaltenden Trommelfeuers der Regierungsparteien will sich Rot-Grün dazu nicht festlegen. Schließlich war dies die Ursache für das Desaster von Andrea Ypsilanti, die sich 2008 entgegen früheren Versicherungen mit Hilfe der Linken zur Regierungschefin wählen lassen wollte. Sie scheiterte spektakulär an vier Abweichlern aus den eigenen Reihen. Bei der Neuwahl ein Jahr später stürzte die SPD in ihrem einstigen Stammland dann auf ein historisches Tief von 23,7 Prozent ab.
Ypsilantis Nachfolger Thorsten Schäfer-Gümbel hat es geschafft, die zutiefst zerstrittene Partei wieder zu einen – das hatten dem einstigen Hinterbänkler aus Gießen, der 2009 an die Parteispitze katapultiert wurde, nur wenige zugetraut. Der 43-Jährige hat die Flügel der Hessen-SPD programmatisch eingebunden und die Partei wieder auf Erfolgskurs gebracht.
Der Entschluss zur Doppelwahl – eigentlich ist der Landtag noch bis Januar 2014 im Amt – gilt als geschickter Winkelzug Bouffiers. Mit dem Rückenwind durch Bundeskanzlerin Angela Merkel soll Schwarz-Gelb in Hessen an der Macht bleiben, so das Kalkül. Seit 1999 regiert die CDU in Wiesbaden – zeitweise mit einer absoluten Mehrheit unter Roland Koch, der 2010 der Politik den Rücken kehrte.
Tatsächlich ist der große Vorsprung der Opposition in den Umfragen zuletzt dahingeschmolzen. Doch die jüngste Infratest-dimap-Erhebung zeigt auch, dass die Hessen im Bund zwar Schwarz-Gelb favorisieren – im Land jedoch bleibt es bei der Wechselstimmung. Was für Bouffier, der im Wahlkampf ganz den bedächtig-jovialen Landesvater gibt, bedenklich ist: Im direkten Vergleich liegt der 61-jährige Regierungschef trotz Amtsbonus nur noch knapp vor dem fast 20 Jahre jüngeren Schäfer-Gümbel, der gilt in Umfragen auch als sympathischer.
Die beiden Spitzenkandidaten könnten bei der Endabrechnung eine wichtige Rolle spielen, da die zündenden Sachthemen fehlen. Was auch daran liegt, dass die Bundestagswahl das Geschehen im Land überlagert.