Der Zeitpunkt für den Anschlag war kaum zufällig gewählt – ebenso wenig wie der Ort und die Zielscheibe. Drei Tage vor der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl und während einer Live-Fernsehsendung, in der alle elf Kandidaten nacheinander auftraten, eröffnete ein Mann am Donnerstagabend das Feuer auf Polizisten auf den Champs-Élysées in Paris. Ein Beamter wurde getötet, zwei weitere kamen mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus. Auch eine deutsche Touristin wurde verwundet.
Statt der sonst üblichen romantischen Beleuchtung der bei Touristen beliebten Prachtstraße blinkten die Blaulichter von Kranken- und Polizeiwagen – die Terror-Angst war zurück in der Stadt. Seit der blutigen Anschlagsserie vom 13. November 2015 gilt der Ausnahmezustand im ganzen Land, der auch mit Blick auf die politischen Großveranstaltungen vor der Wahl bis in den Sommer hinein verlängert wurde.
Bei dem Angreifer, der unmittelbar nach seiner Bluttat erschossen wurde, handelte es sich um einen 39-jährigen Franzosen, der 2005 zu fünf Jahren Haft wegen versuchter Tötung von drei Menschen, darunter zwei Polizeibeamten, verurteilt worden war. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ bekannte sich zu dem Anschlag und die Antiterror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf, wie Präsident François Hollande bestätigte. „Wir werden absolut wachsam sein, gerade hinsichtlich der Wahl“, versprach er.
Diese wird auf den letzten Metern vom Thema der inneren Sicherheit eingeholt, das bislang eine zweitrangige Rolle spielte. Vielmehr dominierten wirtschaftliche und soziale Fragen sowie die Rolle Frankreichs innerhalb Europas, befeuert von mehreren EU-kritischen Kandidaten wie Le Pen und dem Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon.
Haben die Vorfälle auf den Champs-Élysées einen Einfluss auf die Wahlentscheidung der 47 Millionen stimmberechtigten Franzosen, von denen bis zuletzt viele unentschlossen sind? Wird der Republikaner François Fillon gestärkt, der seine Erfahrung als Ex-Premierminister hervorhebt? Er versicherte in einer ersten Reaktion, dass „der Kampf gegen den islamistischen Terror die absolute Priorität“ haben müsse. Oder geben die Vorfälle der Rechtspopulistin Marine Le Pen Rückenwind, die der Regierung wortgewaltig Nachlässigkeit gegenüber der „grässlichen totalitären Ideologie des radikalen Islamismus“ vorwarf? Sie forderte am Freitag, das Strafrecht zu verschärfen, 15 000 neue Polizisten und Gendarmen einzustellen und alle ausländischen Terror-Verdächtigen auszuweisen. Fillon, Le Pen und der unabhängige Kandidat Emmanuel Macron sagten für Freitag geplante Kundgebungen ab.
„Es hat ein Opfer gegeben, das Attentat wird natürlich auf dem Votum der Franzosen lasten“, urteilte der politische Kolumnist Christophe Barbier. Doch in welchem Ausmaß und in welche Richtung? Meinungsforscher vermochten keine klare Antwort darauf zu geben. Eine letzte Umfrage am Freitag zeigte Le Pen mit 21,5 Prozent schwächer als in den vergangenen Wochen und nur noch knapp vor Fillon, der bei 20 Prozent lag, und dem Linkspolitiker Mélenchon mit 19 Prozent. Macron wiederum setzte sich demnach mit 24 Prozent von seinen Konkurrenten ab. In den vergangenen Tagen erhielt der frühere Wirtschaftsminister prominente Unterstützung von verschiedenen Seiten, darunter von Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian und dem früheren konservativen Regierungschef Dominique de Villepin. In einer feurigen Rede sprach sich auch der grüne Ex-EU-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit für den „kleinen Emmanuel“ aus, der eine pro-europäische Idee verbreite und dem er nur „bei der Ökologie noch ein wenig helfen“ müsse. Überraschende Wahlkampfhilfe gab es auch für den republikanischen Kandidaten – von Alain Delon. „François Fillon, dessen Mut, Erfahrung und unerschütterlichen Willen ich bewundere, hat in meinen Augen keinen Rivalen“, schrieb der 81-jährige Schauspieler in der konservativen Zeitung „Figaro“.
Delon, der wie seine einstige Kollegin Brigitte Bardot dem rechtsextremen Gründer des Front National, Jean-Marie Le Pen, nahesteht, setzt auf die Wechselstimmung im Land. Die gibt es – doch wem sie zugutekommt, ist offen.