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BERLIN/WÜRZBURG
Bedeutet Hartz IV keine Armut?
Laura-Sophie Lang
 und  dpa
 |  aktualisiert: 19.03.2018 03:03 Uhr

(dpa/sop) Hat mit Hartz IV jeder das, was er zum Leben braucht? Das hat der designierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gesagt – und damit Kritik auch beim Koalitionspartner SPD auf sich gezogen. „Herr Spahn hat bei den Koalitionsverhandlungen anscheinend nicht genug aufgepasst“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. „Es gibt einfach Bereiche, wo wir sehen: Trotz Hartz IV geht es den Menschen nicht gut, und da wollen wir ran.“ Das umzusetzen, sei Aufgabe eines jeden Ministers in der neuen Regierung.

Kritik an Spahn übte auch seine Parteikollegin, die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. „Ich warne immer etwas davor, wenn Menschen, die, so wie er oder wie ich, gut verdienen, versuchen zu erklären, wie man sich mit Hartz IV fühlen sollte“, sagte sie. „Die Menschen, die ich kenne, die im Hartz-IV-Bezug sind, sind da nicht freiwillig, die wollen auch wieder raus.“

Grünen-Chefin Annalena Baerbock warf Spahn vor, sich mit seinen Äußerungen über Arme zu erheben und als künftiger Gesundheitsminister das Thema zu verfehlen. Er solle sich um die 50 000 offenen Stellen im Pflegebereich kümmern. Die Landtagsabgeordnete der Grünen Kerstin Celina (Würzburg) betonte, dass die Armutsbekämpfung originäre Aufgabe des Staates sei und nicht auf die Tafeln ausgelagert werden dürfe. „Wenn aber derzeit trotz einer sehr hohen Nachfrage nach Arbeitskräften die Zahl der Menschen steigt, die auch die Hilfe von Tafeln zum Leben braucht, dann läuft in der staatlichen Armutsbekämpfung einiges schief“, so Celina.

Die Linke forderte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, Spahn nicht wie geplant zum Gesundheitsminister zu machen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte, sagte: „Wer in diesen Zeiten derart kaltherzig und abgehoben über die Armen und Schwachen in dieser Gesellschaft redet, sollte von sich aus auf das Ministeramt verzichten.“ Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht erklärte, Hartz IV mute Eltern zu, ihre Kinder für 2,70 Euro am Tag zu ernähren. „Wenn gut verdienende Politiker wie Herr Spahn meinen, das sei keine Armut, sollten sie sich mal mit einer Mutter unterhalten, die unter solchen Bedingungen ihr Kind großziehen muss.“

Spahn hatte die Debatte um den Aufnahmestopp für Ausländer bei der Essener Tafel kritisiert. Der Funke Mediengruppe hatte er gesagt, die Tafeln „helfen Menschen, die auf jeden Euro achten müssen. Aber niemand müsste in Deutschland hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe“. Deutschland habe „eines der besten Sozialsysteme der Welt“. Die gesetzliche Grundsicherung werde regelmäßig angepasst. Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die Antwort der Solidargemeinschaft auf Armut. „Damit hat jeder das, was er zum Leben braucht.“ Zumal man nicht vergessen dürfe, „dass andere über ihre Steuern diese Leistungen bezahlen“.

Einen Verbündeten findet Spahn in FDP-Chef Christian Lindner, der ähnlich argumentiert: „Die Tafel ist nicht ausdrücklich Ausdruck von Armut, sondern ist zunächst eine Entscheidung, dass man günstige Lebensmittel nicht wegwerfen will“, sagte er. Dass immer mehr Menschen Lebensmittel über die Tafeln bezögen, sei „kein Indikator dafür, dass in Deutschland die Armut steigt“.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Alexander Hoffmann (Retzbach, Lkr. Main–Spessart) bestreitet nicht, dass die Grundsicherung knapp bemessen ist. Aber neben dem Regelsatz zahle der Staat auch die Kosten für Unterkunft und Heizung. Und laut Statistischem Bundesamt sei der Anteil der Menschen, die unter „erheblichen materiellen Entbehrungen“ leiden, mit 3,7 Prozent nicht nur gering, sondern auch rückläufig, sagt er. „Wir sollten uns unseren Sozialstaat nicht schlechtreden lassen“, so Hoffmann. Wer behaupte, Deutschland werde immer ungleicher und ungerechter, der ignoriere die Fakten und betreibe Stimmungsmache.

 
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