Vor dem Sondierungstreffen über Chancen einer großen Koalition kommen aus Union und SPD vorsichtige Annäherungssignale. CSU-Chef Horst Seehofer sagte, Priorität habe für ihn eine Koalition mit der SPD. Dort hieß es, vor den ersten Gesprächen an diesem Freitag sollten keinesfalls „rote Linien gezogen werden. Auch die Grünen betonten ihr Interesse an einem ernsthaften Dialog mit der Union.
Mit dabei bei den Treffen in Berlin ist die bayerische Landtagspräsidentin Barbara Stamm. Die Würzburgerin zeigte sich von ihrer Nominierung durch Parteichef Seehofer „angenehm überrascht“. Die Teilnahme an den Sondierungsrunden mit der SPD und nächsten Donnerstag mit den Grünen sei auch für sie „etwas Besonderes“. Sie sei wohl vor allem als Fachfrau für „soziale Fragen und die Familienpolitik“ ausgewählt worden, sagte die stellvertretende CSU-Vorsitzende auf Nachfrage dieser Zeitung. Stamm vertritt damit andere bekannte Familienpolitikerinnen in der Union wie CDU-Arbeitsministerin Ursula von der Leyen oder CSU-Vize-Generalsekretärin Dorothee Bär (Ebelsbach), die beide nicht eingeladen wurden. Gegenspielerin auf SPD-Seite ist Manuela Schleswig, die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern.
Barbara Stamm kennt die Atmosphäre solcher Treffen. Auch Koalitionsverhandlungen wären für sie nichts Neues. „Aber so weit sind wir noch nicht“, schränkt sie ein. Die 68-Jährige war schon 2009 Mitglied der CDU/CSU-Verhandlungskommission mit der FDP. Außerdem erinnert sie sich an die schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen 1987. Als junge Staatssekretärin sei sie „nicht in der ersten Reihe“, aber doch als sozialpolitische Beraterin von CSU-Chef Franz Josef Strauß bei den Gesprächen unter Bundeskanzler Helmut Kohl gefragt gewesen.
Spekulieren, was bei den nun anstehenden Gesprächen herauskommen könnte, möchte die bisherige und designierte neue Landtagspräsidentin derzeit nicht. Auf den ersten Blick gebe es wohl mehr Gemeinsamkeiten mit der SPD, aber es sei richtig, auch „Schnittmengen“ mit den Grünen auszuloten, so Stamm. Die Verhandlungen würden in jedem Fall schwierig. „Warten wir also erst mal die Sondierung ab“, gibt sie sich gelassen. Ziel müsse am Ende eine „regierungsfähige Mehrheit“ sein.
Welche inhaltlichen Knackpunkte bei den Verhandlungen entscheidend sind, auch in dieser Frage hat sich die CSU-Vize im Vorfeld Zurückhaltung auferlegt. Allerdings verweist auch sie auf die öffentlichen Vorgaben durch ihren Parteichef. Horst Seehofer habe Steuererhöhungen für die CSU ausgeschlossen, „da müssen wir verlässlich sein, da darf es keinen Wortbruch geben“. Die Leistungsträger der Gesellschaft sollte man gerade in Zeiten guter Steuereinnahmen nicht mehr belasten.
Ein besonderes Anliegen im Wahlkampf war Sozialexpertin Stamm die sogenannte Mütterrente. Demnach sollen Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, pro Kind jährlich 330 Euro mehr an Rente erhalten. Die Milliarden dafür seien in der Rentenversicherung vorhanden, so die CSU-Politikerin. Auch in der SPD gibt es Sympathien für die Mütterrente, allerdings auch Zweifel, wie die Finanzierung mittelfristig sichergestellt werden kann.
Unterdessen ist der Zeitplan bis zur Bildung einer neuen Bundesregierung völlig offen. In der SPD müsste über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen ein Parteikonvent entscheiden. Es gilt als unwahrscheinlich, dass dieser vor dem 19. oder 20. Oktober zusammenkommt. Erst danach könnte konkret über Inhalte gesprochen werden.
Derweil begrüßte CSU-Chef Seehofer, dass der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann zur Sondierungsdelegation der Grünen gehören soll. Seehofer: „Über Kretschmann-Politik kann man reden.“
Die deutsche Industrie hofft auf eine rasche Regierungsbildung. „Überall warten die Hausaufgaben – national und international“, sagte BDI-Präsident Ulrich Grillo. Es sei keine Zeit für einen Poker um 15 Ministerjobs, es gehe um fast 42 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland. Ganz oben auf der Tagesordnung der neuen Regierung müsse eine umfassende Reform der Energiewende stehen. Mit Informationen von dpa