Die ersten Container stehen zum Abtransport bereit. In ihrem Materialdepot in Müritz, gut eine Autostunde nördlich von Berlin, hat die Bundeswehr 4000 Gefechtshelme, 700 Funkgeräte, 680 Nachtsichtgeräte, 30 Minensonden, 20 Metalldetektoren und 40 praktische Werkzeug-Sets sauber verpackt und sorgfältig beschriftet. Gemeinsam mit den 4000 schusssicheren Westen, die das Auswärtige Amt zur Verfügung stellt, sollen sie in den nächsten Tagen von Leipzig aus in die Provinzhauptstadt Erbil geflogen und an die kurdischen Truppen übergeben werden. Sechs Soldaten der Bundeswehr, die das vor Ort organisieren sollen, haben im deutschen Generalkonsulat in Erbil bereits ein kleines Büro bezogen.
Bis die kurdischen Peschmerga-Milizen die ersten Waffen aus den Beständen der Bundeswehr erhalten, werden dagegen noch ein paar Tage mehr vergehen. Nachdem die politischen und logistischen Vorarbeiten deutlich länger gedauert haben als ursprünglich erwartet, will Bundeskanzlerin Angela Merkel erst am Sonntag in einer kleinen Runde mit den Vorsitzenden der anderen Koalitionsparteien und den zuständigen Ministern klären, was Deutschland an Waffen und an Munition für den Kampf gegen die Fanatiker des Islamischen Staates im Nordirak bereitstellt – vermutlich Panzerabwehrraketen und Gewehre. Allzu lange, warnt Volker Kauder, der Fraktionschef der Union, dürfe das allerdings nicht mehr dauern. „Ansonsten würden die Terroristen von der IS wahrscheinlich auch noch in Kurdistan einfallen.“
Andere Länder sind jedenfalls deutlich schneller als die Deutschen: Die tschechische Regierung in Prag, zum Beispiel, hat bereits beschlossen, Handgranaten und mehrere Millionen Patronen für die Maschinenpistolen der Kurden vom Typ Kalaschnikow zu liefern. Auch Kanada, Kroatien und Albanien haben inzwischen Kriegsgerät zugesagt. Dänemark wiederum stellt selbst keine Waffen zur Verfügung, aber Flugzeuge für deren Transport.
In Berlin begründet Regierungssprecher Steffen Seibert die Verzögerungen mit noch laufenden Prüfungen und der Abstimmung mit anderen Ländern. Nach der Entscheidung der Bundesregierung am Sonntag will die Kanzlerin diese am Montagnachmittag in einer Sondersitzung des Bundestages ausführlich erläutern.
Kein Rückholschein
Entgegen der ursprünglichen Pläne wird das Parlament anschließend auch in einer Art symbolischem Akt über die Waffenlieferung abstimmen. Formell ist der sogenannte Entschließungsantrag nicht erforderlich, da die Regierung keine Soldaten in einen Auslandseinsatz schickt, sondern „nur“ Waffen und Ausrüstung. Mit dem ungewöhnlichen Schritt soll allerdings noch einmal die dramatische Lage im Norden des Irak betont werden, die Deutschland dazu zwinge, entgegen seiner Prinzipien in diesem Fall doch Rüstungsgüter in ein Krisengebiet zu liefern. Ein Automatismus für künftige Konflikte soll sich daraus ausdrücklich nicht ableiten.
„Wir wollen damit bereits getätigte und weiterhin geplante humanitäre Hilfe unterstützen“, sagt Thomas Oppermann, der Fraktionsvorsitzende der SPD, der als Initiator der Abstimmung gilt. Ohne die umstrittenen Waffenlieferungen, fürchtet er, wäre auch ein großer Teil der humanitären Hilfe vergebens. Gleichzeitig teilt Oppermann die Sorgen vieler Kollegen: „Für diese Waffen gibt es keinen Rückholschein, es gibt das Risiko, dass sie in anderen Konflikten verwendet werden.“
Möglicherweise, so wird in Berlin spekuliert, könnten die Kurden nach einem erfolgreichen Feldzug gegen die Islamisten in Versuchung geraten, sich mit Waffengewalt die völlige Unabhängigkeit vom Irak zu erkämpfen. Zwei Drittel der Deutschen lehnen die Lieferungen auch deshalb ab.
Den Segen der Kirchen für die umstrittenen Lieferungen hat die Koalition dagegen. Der Einsatz von Waffen könne „in bestimmten Situationen nicht ausgeschlossen werden“, heißt es in einer Erklärung der Katholischen Bischofskonferenz. „Wir erinnern in diesem Zusammenhang an die Pflicht der Staaten, gegen Völkermord aktiv tätig zu werden, und die Schutzverantwortung zur Abwehr schlimmster, viele Menschen bedrohender Verbrechen.“ Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider, formuliert es sogar noch drastischer: Das Evangelium gebiete zwar Gewaltverzicht, betont er im Berliner „Tagesspiegel“. Ihm zu folgen, bedeute aber nicht, zuzusehen, „wie andere gequält, geköpft und versklavt werden“.