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SALISBURY
Aus Versehen mit Nowitschok vergiftet?
byl
 |  aktualisiert: 11.12.2019 16:48 Uhr

In dem hübschen Park bildeten sich vor wenigen Tagen noch lange Menschenschlangen vor dem Eisstand, auf dem Spielplatz tobten Kinder. Nun stehen Polizisten vor den abgesperrten Grünflächen des Queen Elizabeth Gardens im südenglischen Salisbury. Haben sich D. S. und C.R. hier aus Versehen mit einem hochtoxischen Nervengas vergiftet?

Das Paar besuchte den Park am Freitag. Schon am nächsten Morgen fühlte sich die 44-jährige Frau, die mit Alkoholproblemen kämpft, so unwohl, dass sie von Rettungskräften ins Krankenhaus gebracht wurde. Kurz darauf zeigte auch der Mann, ein Heroin-Abhängiger, Symptome. Ein Nachbar schilderte gegenüber Medien, der 45-Jährige habe „seltsame Geräusche von sich gegeben, extrem geschwitzt, aus dem Mund geschäumt und wie ein Zombie agiert“, bevor er bewusstlos zusammengebrochen sei.

Eine Überdosis Drogen? So lautete zunächst die Vermutung von Polizei und Ärzten. Am Mittwochabend verkündete Neil Basu, Chef der britischen Anti-Terror-Einheit, dann aber eine weitaus beunruhigendere Nachricht: Die beiden Briten kamen in Kontakt mit Nowitschok. Sie kämpfen derzeit im Salisbury District Hospital um ihr Leben.

Experten in Schutzanzügen durchforsten erneut die Gegend

Das Vereinigte Königreich reagiert geschockt auf die Nachricht, dass ein britisches Paar offenbar mit dem gleichen Gift in Berührung geriet wie im März der russische Ex-Doppelagent Sergej Skripal und dessen Tochter Julia. „Es wirkt wie ein wiederkehrender Alptraum“, sagte ein Bewohner des Touristenstädtchens, in dessen Nähe sich das UNESCO-Weltkulturerbe Stonehenge befindet.

Die Skripals wurden damals auf einer Parkbank vor einem Einkaufszentrum entdeckt, mittlerweile geht es ihnen wieder besser. Nur wenige Meter von eben jenem Ort entfernt durchforsten Experten in Schutzanzügen jetzt abermals die Gegend, genauso wie das Haus in der rund zwölf Kilometer entfernten Gemeinde Amesbury, in dem der Mann lebt. Seine Freundin wohnt in einer Herberge in Salisbury, die nahe des Restaurants liegt, in dem die Skripals vor ihrem Kollaps aßen.

Man bewerte den Vorfall als „schwerwiegend“, hieß es von den Behörden. Neben der lokalen Polizei der Grafschaft Wiltshire ermitteln rund 100 Beamte der britischen Anti-Terror-Abwehr von Scotland Yard. Bislang deute nichts darauf hin, dass die beiden Opfer „auf irgendeine Weise gezielt angegriffen“ wurden.

Ob es sich tatsächlich um die identische Substanz handelt, die bei der Attacke auf die Skripals verwendet wurde, wird derzeit im staatlichen Labor Porton Down geklärt, das sich ganz in der Nähe und zwischen Salisbury und Amesbury befindet. Chemiewaffenexperten hatten das Nervengas damals als einen chemischen Kampfstoff der sogenannten Nowitschok-Gruppe identifiziert, der in der früheren Sowjetunion entwickelt worden war.

Einwohner haben Angst und sorgen sich um ihre Sicherheit

Das Risiko für die Öffentlichkeit sei gering, hieß es zwar wie bereits im März von den Behörden. Doch die Menschen in und um Salisbury sorgen sich um ihre Sicherheit und haben Angst. So sind etliche Orte wie eine Kirche, eine Apotheke, das Wohnhaus und Parks, die das Paar besucht hat, abgesperrt und werden untersucht.

Gleichzeitig ist die Öffentlichkeit angehalten, keine herumliegenden unbekannten Gegenstände oder ohnehin gefährliche Objekte wie Nadeln und Spritzen aufzuheben oder zu berühren. Zudem wurde besorgten Anwohnern empfohlen, als Vorsichtsmaßnahmen ihre Kleider zu waschen, unter Umständen Telefone, Handtaschen und Gürtel mit Feuchttüchern abzuwischen.

„Wie konnte es wieder passieren?“, fragte die Boulevardzeitung „Daily Mail“ gestern auf ihrer Titelseite. Tatsächlich wissen die Behörden noch immer nicht, wer hinter dem Anschlag auf die Skripals steckt, wer den Kampfstoff an der Haustür des ehemaligen Doppelspions angebracht hat und wie die Substanz nach Salisbury gelangte.

Von Moskau Antworten verlangt

Die Briten machen Moskau für die Attacke im März verantwortlich. Der Kreml bestreitet das vehement. Die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern – ohnehin bereits auf einem Tiefpunkt – dürften nun erneut auf die Probe gestellt werden. Bereits am Donnerstag kündigte Innenminister Sajid Javid an, sich mit den westlichen Verbündeten über eine mögliche Reaktion zu beraten. Moskau, so forderte er im Parlament, müsse erklären, „was genau geschehen ist“.

 
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