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Aus für private Krankenversicherungen?
Verbraucherzentralen bezweifeln angesichts teilweise dramatischer Beitragssteigerungen die Überlebenschance der Privaten
Wie gut geht es den privaten Krankenkassen? Von Verbraucherschützern kommt Kritik, und die Politik streitet über ihre Zukunft.
Foto: Thinkstock/Montage Biscan | Wie gut geht es den privaten Krankenkassen? Von Verbraucherschützern kommt Kritik, und die Politik streitet über ihre Zukunft.
Von unserem Korrespondenten Rudi Wais
 |  aktualisiert: 29.03.2012 19:40 Uhr

Die Mitgliedschaft in einer privaten Krankenkasse wird für ältere Versicherte allmählich zu einem teuren Luxus. Nach einer Stichprobe des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen leiden sie überproportional stark unter den Beitragserhöhungen der Kassen. In insgesamt 144 untersuchten Beschwerden von Verbrauchern stiegen die Versicherungsprämien danach um durchschnittlich 23,9 Prozent. Gleichzeitig erschweren offenbar viele Assekuranzen ihren Kunden den Wechsel in günstigere Tarife.

„Unsere Befürchtungen wurden weit übertroffen“, betonte der Versicherungsexperte der federführenden Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz, Michael Wortberg, bei der Vorlage der (nicht repräsentativen) Untersuchung. Besonders negativ fiel dabei neben der Gothaer die Central Krankenversicherung auf, deren Beiträge zum Jahreswechsel teilweise um 60 Prozent gestiegen sind.

Während die Branche selbst von einer durchschnittlichen Erhöhung von zwei Prozent spricht, machten die Verbraucherschützer gerade bei langjährigen Kunden und älteren Versicherten eine regelrechte „Beitragsexplosion“ aus. In einem Fall zahlte eine 59-jährige Frau einen Monatsbeitrag von 1095 Euro.

Ein großes Manko ist aus Sicht der Verbraucherschützer die eingeschränkte Wahlfreiheit der Versicherten. Deren Recht, in einen preiswerteren Tarif zu wechseln, werde von einigen Unternehmen unter anderem dadurch unterlaufen, dass sie ihren Kunden als Alternative nur noch teurere Tarife mit schlechteren Leistungen anböten. Nur in vier der 144 Fälle gab es keine Probleme mit dem Tarifwechsel.

Neben deutlich kundenfreundlicheren Wahlmöglichkeiten fordert Verbandspräsident Gerd Billen auch eine Reihe grundsätzlicher Korrekturen am System der Privaten Krankenversicherung (PKV). Danach sollten die Beiträge auch hier an die Höhe des Einkommens gekoppelt werden und die Ärzte und Kliniken direkt mit den Versicherern abrechnen.

Außerdem sollten Mediziner bei vergleichbaren Leistungen Privatpatienten keine höheren Gebühren mehr berechnen können als gesetzlich Versicherten. Unabhängig von den akuten Problemen, so Billen, müssten die Privatkassen effizienter arbeiten und ihre „Gerechtigkeitsdefizite“ ausgleichen.

Der CDU-Experte Jens Spahn denkt ähnlich: „Junge Leute werden teilweise systematisch mit billigen Tarifen angeworben, die später schnell teurer werden.“ Der 31-Jährige, selbst privat versichert, hält die Trennung zwischen gesetzlichen und privaten Kassen für nicht mehr zeitgemäß: „Dass nur Selbstständige, Beamte und Gutverdiener sich privat versichern können, lässt sich nur noch historisch begründen.“

In der Zeitung „Die Welt“ plädiert Spahn unabhängig von der Rechtsform der Kassen für mehr Wettbewerb und eine stärkere Konzentration der Privaten auf ihr klassisches Geschäft, das Absichern von Extras wie der Chefarztbehandlung oder dem Einbettzimmer. Verbraucherschützer Billen prophezeit der PKV mit ihren neun Millionen Versicherten gar: „Sie wird sich selbst abschaffen.“

Es gebe „eine eklatante Zahl von Fällen, wo es Beitragssteigerungen von bis zu 30 Prozent von einem Jahr aufs andere gegeben hat“, kritisiert Billen. Der Verband der Privaten Krankenkassen dagegen spricht von „Einzelfällen, in denen sich Versicherte überfordert fühlen“, und weist die Vorwürfe der Verbraucherschützer als unseriös zurück.

Seit 1997 seien die Beiträge in der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung annähernd gleich stark gestiegen, nämlich um 3,1 Prozent pro Jahr bei den gesetzlichen Kassen und um 3,3 Prozent bei den Privaten. „Die steigenden Gesundheitskosten betreffen beide Versicherungssysteme gleichermaßen“, betont Verbandsdirektor Volker Leienbach. Außerdem gebe es für Problemfälle bei den Privaten den sogenannten Sozialtarif mit deutlich geringeren Beiträgen und Leistungen auf dem Niveau der gesetzlichen Kassen.

Bereits am Vortag hatte AOK-Chef Jürgen Graalmann die Politik aufgefordert, die private Krankenversicherung in ihrer heutigen Form nicht künstlich am Leben zu erhalten. Die betroffene Branche und die FDP warfen ihm einen Fehltritt vor. Die SPD sieht sich hingegen bestätigt.

„Die Lage der PKV ist ganz offensichtlich bedrohlich“, sagte der Vorsitzende des AOK-Bundesverbands. „So wie es aussieht, bekommen die Versicherer diese Krise nicht selbst unter Kontrolle“, sagte Graalmann. Ein einheitlicher Versicherungsmarkt sei die logische Konsequenz. Die Politik solle dabei auf einen Ausgleich für die PKV-Unternehmen verzichten. „Wenn das heutige Geschäftsmodell der PKV gescheitert ist, darf es keine politischen Kompensationsgeschäfte geben“, forderte Graalmann.

Der PKV-Verband reagierte heftig. „Wider besseres Wissen erfindet Herr Graalmann ein Horrorszenario, das durch nichts belegt ist“, sagte Direktor Volker Leienbach. „Dass der Repräsentant einer privilegierten öffentlich-rechtlichen Körperschaft wie der AOK wahrheitswidrig einen privatwirtschaftlichen Wettbewerber schlechtredet, ist eine üble Entgleisung.“

Der FDP-Gesundheitsexperte Heinz Lanfermann sagte: „Einen ganzen Wirtschaftszweig als bedroht hinzustellen, halte ich für unseriös.“ Graalmann dürfe bewusst sein, dass es die AOK heute in dieser Form nicht mehr gäbe, wenn die Politik nicht über Jahre geholfen hätte. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte hingegen: „Die heutige PKV ist am Ende. Jetzt ist es Zeit für die Bürgerversicherung.“ Die Privatisierung und damit Zerschlagung der gesetzlichen Kassen als Kompensation für ein einheitliches Versicherungssystem werde es mit der SPD nicht geben. Mit Material von dpa

 
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