Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen, bei dem alle 150 Passagiere und Crewmitglieder ums Leben kamen, wird fieberhaft nach der Ursache gesucht. Die Luftfahrtexperten Cord Schellenberg und Peter Pletschacher ordnen die Geschehnisse ein.
Cord Schellenberg: Lufthansa gehört weiter zu den sichersten Fluggesellschaften der Welt, auch wenn die Fluggesellschaft jetzt ihren schlimmsten Unfall seit 60 Jahren erlebt hat. Der letzte Absturz einer Lufthansa-Maschine liegt über 40 Jahre zurück. Im Jahr 1974 stürzte die Boeing 747-130 D-ABYB „Hessen“ kurz nach dem Start vom Flughafen Nairobi ab. Von den 157 Insassen kamen 59 ums Leben.
Peter Pletschacher: Dieser Glanz hat einen erheblichen Kratzer abbekommen. Die Lufthansa gehörte immer zu den sichersten Airlines der Welt, aber wenn eine solche Katastrophe passiert, rutscht sie im Ranking nach unten. Es wird sicher Jahre dauern, bis sie sich davon erholt.
Schellenberg: Germanwings gehört zum Lufthansa-Konzern. Die Flotte besteht aus Lufthansa-Flugzeugen, wird betreut durch Lufthansa-Technik und auch die Piloten sind ausgebildete Lufthansa-Piloten. Damit gilt diese Airline als extrem zuverlässig.
Pletschacher: Germanwings hat einen tadellosen Ruf. Man muss nun abwarten, ob die Airline überhaupt irgendeine Schuld an diesem Unfall hat und wie die Untersuchungen laufen.
Schellenberg: Der Stimmenrekorder zeichnet die Gespräche der Piloten und alle anderen Geräusche im Cockpit auf – in der Regel allerdings nur die letzte halbe Stunde, dann werden alte Daten gelöscht. Die Auswertung geht schnell, wenn alle Stimmen klar zuzuordnen sind.
Pletschacher: Schwierig ist die Auswertung, wenn man nichts hört, es nicht deutlich genug ist oder zu viele Geräusche zu hören sind. Dann wird es erst in einigen Tagen ein Ergebnis geben.
Schellenberg: Das Betriebswerk Monitoring wird schon jetzt ständig übertragen, damit die Technik vor der Landung erkennt, ob alles richtig läuft. Ob eine Simultanübertragung aus dem Cockpit sinnvoll ist, muss geprüft werden.
Pletschacher: Realtime-Übertragungen gibt es schon lange, vor allem auf Langstreckenflügen werden zum Beispiel Daten der Triebwerke übertragen. Doch man braucht immer jemanden, der diese Daten überwacht und auswertet. Das ist aufwendig und verursacht hohe Kosten.
Schellenberg: Das Alter sagt nichts über den Zustand eines Flugzeugs, denn es kommt auf die regelmäßige Wartung an. Und man wird in diesem Flugzeug nur wenige bewegliche Teile finden, die 24 Jahre alt sind.
Pletschacher: Flugzeuge sind dauerhafte Produkte. Das Alter eines Flugzeugs ist kein Kriterium für die Sicherheit. Wenn sie gut gewartet werden, bleiben Flugzeuge häufig 30 bis 40 Jahre im Luftverkehr, bis sie ausgemustert und verschrottet werden. Und sie wechseln im Laufe ihres Lebens mehrmals den Besitzer.
Schellenberg: Piloten wissen, was im Notfall zu tun ist, denn sie sind wie keine andere Berufsgruppe auf den Notfall trainiert. Ein Pilot muss auch im Routinebetrieb jederzeit bereit sein, in das Geschehen einzugreifen, wenn sich Ereignisse abzeichnen, die irregulär sind. Zweimal im Jahr üben sie in einem Simulator den Ernstfall.
Pletschacher: Seit knapp 30 Jahren gibt es eine elektrische Steuerung via Computer und seitdem ist die Sicherheit nicht schlechter, sondern immer besser geworden. Dennoch muss ein Pilot in jeder Situation eingreifen können.
Schellenberg: Nach dem manuellen Start gibt es die Möglichkeit, dass der Autopilot den vorher programmierten Flugweg abfliegt. Doch in den meisten Fällen wollen Piloten auch selber landen, denn Start und Landung sind die bedeutendsten Momente während eines Fluges. Gleichzeitig ist der Computer bei widrigem Wetter, wie starkem Nebel eine gute Unterstützung.
Pletschacher: Es gibt einen Trend, dass Piloten wieder mehr selbst fliegen. Manche Flugkapitäte erleben 20 bis 30 Jahre nichts Ungewöhnliches und müssen dann von einer Sekunde auf die andere richtig reagieren. Viele Piloten trainieren mit Kunstflugzeugen, wie es ist, wenn man ins Trudeln kommt oder wie es sich anfühlt, wenn das Flugzeug auf dem Kopf steht.
Schellenberg: Es gibt dazu klare europäische Regelungen. Gerade im Lufthansa-Konzern also auch bei Germanwings werden diese Höchstgrenzen auch sehr genau eingehalten.
Pletschacher: Ab zehn Stunden Flugdauer muss ein dritter Pilot an Bord sein, der die beiden anderen dann abwechselt.
Schellenberg: Es geht ein zutiefst menschliches Signal davon aus. Wenn sich jemand „unfit to fly“ meldet, heißt das, dass er sich nicht in der Lage fühlt, seinen Dienst anzutreten. Es hängt sicher damit zusammen, dass man die Besatzung des Unfallfluges kannte, mit ihr befreundet war oder dass man die Maschine schon selbst geflogen hat. Es wird noch dauern, bis wieder Routine beim Flugpersonal einkehrt.
Schellenberg: Wichtig ist, wie Lufthansa mit der Betreuung der Hinterbliebenen und den eigenen Mitarbeitern umgeht und wie weit Lufthansa zur Aufklärung des Absturzes beiträgt. Es muss geklärt werden, was während des Fluges passiert ist. Daraus werden Anweisungen des Flugzeugherstellers und der Behörden hervorgehen. Die Aufarbeitung ist das zentrale Thema.
Pletschacher: Es wird Konsequenzen haben müssen, denn man muss aus jedem Unfall lernen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass man keine Ursache feststellen kann.
Schellenberg: Das Flugzeug ist und bleibt das sicherste Verkehrsmittel der Welt. Das Gefährlichste an einer Flugreise ist die Fahrt mit dem Auto zum Flughafen.
Cord Schellenberg gehört zum kleinen Kreis der deutschsprachigen Luftfahrtexperten. Er tritt regelmäßig als Wirtschafts- und Luftfahrtexperte im Fernsehen auf. Er lebt und arbeitet in Hamburg.
Peter Pletschacher ist anerkannter Luftfahrtexperte sowie Gründer und geschäftsführender Verleger des Aviatic Verlages. Neben seiner Arbeit für den Verlag ist er Präsident des Luftfahrt-Presse-Clubs e.V.