Es ist schon dunkel am Montagabend, als sich CSU-Generalsekretär Markus Blume und der Rieser Bundestagsabgeordnete Ulrich Lange im Kloster Seeon in ein ruhiges Eck zurückziehen. Fast wirkt es ein wenig konspirativ, wie sie da nacheinander in dasselbe, Langes Handy sprechen. Und es ist ja auch eine recht heikle Mission: Blume versucht, den muslimischen Unternehmer Sener Sahin davon zu überzeugen, doch noch für die CSU in Wallerstein als Bürgermeister-Kandidat ins Rennen zu gehen. Und der Politiker aus der Parteispitze gibt alles: „Er hat mir sogar angeboten, persönlich zur Nominierungsversammlung zu kommen, um die Vorurteile an der Wallersteiner CSU-Basis abzubauen“, berichtet Sahin unserer Redaktion. Blume hat da noch Hoffnung.
Doch es bringt alles nichts. Am Dienstagmittag muss der CSU-Generalsekretär bei der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe nach einem weiteren Gespräch mit dem türkischstämmigen Sahin erklären: „Im Ergebnis kann ich sagen, dass er bei seinem Entschluss bleibt. Er möchte nicht antreten.“ In seinem Bedauern darüber reiht sich Blume ein in die Bewertung anderer hochrangiger CSU-Politiker: „Wir hätten Herrn Sahin für einen sehr, sehr guten Kandidaten gehalten.“
Mit der Ruhe ist es nicht weit her
Dieser sehr, sehr gute Beinahe-CSU-Kandidat versucht zur selben Zeit, in seinem Heimatort vergeblich, wieder zum Alltag überzugehen. Das schmucke Einfamilienhaus im Neubaugebiet von Wallerstein wirkt zwar von außen beinahe so, als ob die Familie im Urlaub weilt, drinnen ist es aber mit der Ruhe nicht weit her.
Zahlreiche Rundfunk- und Fernsehsender, auch türkische, haben Interviewwünsche geäußert, die der 44-Jährige allesamt abgelehnt hat. Das Telefon steht sowieso nicht still, neben Markus Blume und Ulrich Lange haben aus Kreisen der CSU noch Nördlingens Altoberbürgermeister Paul Kling und Landrat Stefan Rößle angerufen. „Ich hatte noch keine Sekunde Zeit für meine Arbeit“, stellt Sener Sahin am Dienstagnachmittag resigniert fest.
Nicht anders ergeht es dem ins Kreuzfeuer geratenen CSU-Ortsvorsitzenden Georg Kling, der als Viehhändler naturgemäß vor allem mit Landwirten der Region zu tun hat. Von jedem zweiten Kunden werde er auf den „Fall Sahin“ angesprochen, sagt Kling, und die Gefühlslage sei zwiespältig. „Die einen hätten Sahins Kandidatur befürwortet, andere üben Kritik“. Ähnlich sei die Stimmungslage bei Wallersteins Bürgern, glaubt Kling, und zwar auch bei Nichtmitgliedern der CSU: „Es ist bei weitem nicht so, dass nur drei, vier Gemeinderatskandidaten Sahin zum Rückzug bewogen haben.“ Auch der örtliche CSU-Chef möchte gerne zum Tagesgeschäft zurückkehren und sich auf die Nominierungsversammlung der CSU-Gemeinderatsliste am Donnerstagabend konzentrieren. Sener Sahin war hier ebenfalls als Kandidat vorgesehen und hat auch für diese Aufgabe abgesagt.
Er will noch nicht mal zu der Versammlung im Sportheim des SC Wallerstein gehen. „Ich weiß genau, was ich am Donnerstag tue“, sagt Sahin, „nämlich Hallenfußball spielen mit unserer AH-Gruppe.“ Klingt so, als ob er seinen Ausflug in die Kommunalpolitik möglichst schnell abhaken möchte.
Noch nicht bereit für muslimischen Bürgermeisterkandidaten
Die CSU wird voraussichtlich nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen können. Denn während man Sahin in der Parteizentrale unterstützt, sieht die Sache vor Ort eben anders aus: „Herr Sahin hatte einfach nicht den Eindruck, dass hier 100 Prozent wirklich hinter ihm stehen. Dass es Teile gibt, die mit dieser Personalie hadern“, sagt Blume. Mehrere Mitglieder des Ortsverbands hatten angekündigt, nicht mit Sahin auf der Kandidatenliste stehen zu wollen. Auf dem Land scheint die CSU-Basis noch nicht überall bereit für einen muslimischen Bürgermeister-Kandidaten. Die Parteispitze fände einen Kandidaten vom Kaliber Sahins aber sehr wohl geeignet. Dieser Riss wird die Partei noch länger beschäftigen.
Dabei schien zunächst alles so geschmeidig zu laufen. Der CSU-Ortsverband Wallerstein war auf Sener Sahin mit dem Angebot zugegangen, ihn zu nominieren. Er schien perfekt, auch für die CSU: geboren in Deutschland, junger Familienvater, Unternehmer, als Fußballtrainer höchst engagiert. Der zehnköpfige Ortsvorstand nominierte Sahin einstimmig. Der Kreisvorsitzende Ulrich Lange stand hinter dem Plan, fand die Kandidatur „gut und spannend“. Kurz vor Weihnachten wurde die Entscheidung verkündet.
Am Samstag, den 28. Dezember, traf sich der Bundestagsabgeordnete Lange noch mit Sahin und dem Ortsvorsitzenden Georg Kling zu einem abschließenden Gespräch. Dann fuhr Lange in den Urlaub nach Südtirol. Ein paar Tage später erfuhr er durch unsere Redaktion, was los ist. In der katholischen Enklave Wallerstein, wo in der Vergangenheit schon evangelische Bürgermeisteranwärter keine Chance hatten, war wieder einmal einem Kandidaten sein Glaube zur unüberwindbaren Hürde geworden.