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Aus dem Leben des Soldaten Cash
Deutsch-amerikanische Verbindungen: Er arbeitete drei Jahre als Funker der US-Armee auf dem Fliegerhorst Penzing, segelte auf dem Ammersee, lernte in Garmisch-Partenkirchen Skifahren und fischte in Oberammergau Forellen. Das alles und noch viel mehr hat Johnny Cash später zum weltberühmten Country-Musiker gemacht.
reda
 |  aktualisiert: 22.11.2015 03:36 Uhr

Das Netz ist gespannt – wenige Meter entfernt vom Eingang zur Sporthalle. Im Doppel treten vier Bundeswehrsoldaten in Sportkleidung gegeneinander an. Sie versuchen, den leichten Federball so geschickt in der anderen Hälfte zu platzieren, dass ihn die beiden Gegner nicht mehr vor der Bodenberührung erwischen. Lange Ballwechsel kommen meistens nicht zustande. Nach wenigen Schlägen ist der Punkt gemacht.

Ein junger Schlaks kommt immer wieder in die Halle, um sie wenige Augenblicke später zu verlassen. Offenbar hält er Ausschau nach Mitspielern. Da ist aber keiner. Deshalb taucht er schließlich mit einem Fußball auf, um recht unmotiviert einige Male auf ein Tor zu schießen. Der Blondschopf dürfte in etwa so alt gewesen sein wie jener junge Mann, der vor knapp 64 Jahren weder Fußball noch Badmintonschläger in jener Halle bei sich hatte – sondern eine Gitarre.

Zwölf Stunden lang sang der Bursche an jenem 1. Februar 1952 vor seinen amerikanischen Kameraden, die sich für einen US-Dollar ein Lied wünschen durften. In diesem Benefizkonzert zur Bekämpfung der Kinderlähmung kamen insgesamt 200 Dollar zusammen, was den Schluss nahelegt, dass der 1,87 Meter große Kerl zwischen Mittag und Mitternacht 200 Lieder geträllert hat. Danach konnte er tagelang nicht mehr sprechen. Für sein besonderes Engagement heimste der knapp 20-Jährige eine Belobigung seines Vorgesetzten ein.

Was damals schon offenkundig war: Der Sohn eines Baumwollfarmers aus Arkansas hatte das Zeug dazu, Menschen mit seiner Musik zu fesseln. Was keiner wusste: Hier im Fliegerhorst Penzing („Landsberg Air Base“), der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von der US-Luftwaffe genutzt wurde, trat einer auf, der zu den einflussreichsten Vertretern der Country-Musik überhaupt werden sollte: Johnny Cash. Erstmals ist nun im Neuen Stadtmuseum Landsberg eine Ausstellung über den Mann und seine Zeit als Funker in dieser Region zu sehen.

„Das ist ein Glücksfall für uns.“
Sonia Fischer, Leiterin des Stadtmuseums Landsberg, über den Briefwechsel zwischen Johnny Cash und seiner Freundin Vivian

Herbert Wintersohl kennt die Geschichte des Penzinger Fliegerhorsts wie kein Zweiter. „Da irgendwo muss er gewohnt haben“, sagt der Stabsfeldwebel und zeigt in der weiträumigen Kasernenanlage auf den nördlichen Flügel des „Klosterhofs“. Ein Kloster hat hier freilich nie gestanden. Aber das Karree erinnert von der Anordnung ein wenig an einen Kreuzgang, daher wohl der Name. Es gibt keine persönlichen Exponate Cashs aus seiner Armeezeit in Bayern. Denn er war ein normaler Soldat. Aber einer mit besonders gutem Gehör. Deshalb wurde John Ray Cash nach seiner Ausbildungszeit dazu eingesetzt, in der 12. mobilen Funkschwadron die Russen abzuhören. Und damit war er ein Geheimnisträger, der seine Klappe zu halten hatte. Selbst auf der Stube wurde mit den Zimmergenossen nicht über die Arbeit gesprochen.

Kurz, lang, Pause. Die Bestandteile des Morsealphabets waren Johnny Cash schon lange in Fleisch und Blut übergegangen. Er soll der Erste gewesen sein, der den Tod des sowjetischen Diktators Josef Stalin aufgeschnappt hat. Das wird Cash viele Jahre später in seiner Autobiografie so schreiben. Gewusst hat der Sänger damals nicht, welche Sensation ihm da untergekommen ist. Er konnte kein Russisch. Cash formte das Morsealphabet in Windeseile zu Buchstaben um und hackte Wort für Wort in die kleine Schreibmaschine. Übersetzt und ausgewertet wurde das dann von anderen Experten.

Abhörspezialist Cash durfte nur einmal im Jahr nach Hause telefonieren. Ein Urlaub in den Vereinigten Staaten war für die Armee-Angehörigen ohnehin nicht vorgesehen. Das hatte mit deren Status zu tun, aber auch mit technischen und finanziellen Beschränkungen.

In Zeiten des weltumspannenden Internets und einer Kommunikation, die zum Teil über Satelliten im Weltraum läuft, ist es nur schwer vorstellbar, wie mühsam eine Telefonverbindung über den Atlantik vor 60 Jahren zusammengestöpselt werden musste. Dass in den ländlichen Regionen der USA jeder Haushalt einen Telefonanschluss hatte, war nicht selbstverständlich. Außerdem mussten sich Anrufer und Angerufene vorab darüber verständigen, wann man miteinander sprechen wollte. Die Zeitverschiebung war natürlich stets zu berücksichtigen. Und ob die Telefonverbindung tatsächlich halten würde, wusste vorher niemand.

Der Aufwand forderte seinen Preis: Zehn Minuten kosteten 30 US-Dollar – mehr als zehn Prozent des Monatslohns von Cash. Daher kam das Gespräch über den Großen Teich mit seiner Geliebten Vivian Liberto nicht zustande. Johnny Cash blieb auf andere Weise mit der jungen Frau, die er wenige Wochen vor seiner Verlegung nach Deutschland kennengelernt hatte, in ständigem Kontakt. Er schrieb ihr Briefe. Jeden Tag einen – mindestens.

„Das ist ein Glücksfall für uns“, sagen die Leiterin des Stadtmuseums, Sonia Fischer, und Ausstellungskuratorin Edith Raim. Vor acht Jahren publizierte Vivian Cash, deren Ehe später vor allem wegen der Alkohol- und Drogenexzesse ihres Mannes scheitern sollte, den Briefwechsel der Liebenden. Leser erfahren zwar nichts über die Arbeit des Soldaten. Aber sie bekommen mit, was Johnny Cash in jenen Jahren bewegte. Was er in der Freizeit tat. Was er fühlte.

Am Anfang war das Heimweh groß. Vielleicht weniger nach seiner Familie. Das vierte von sieben Kindern wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und musste schon im Grundschulalter auf den Baumwollfeldern mithelfen. Sicherlich aber wegen der attraktiven Vivian, die ihm auch über die große Distanz treu bleiben sollte. Auf potenzielle Rivalen war er eifersüchtig. Es reichte Cash schon, dass sich seine Braut mit anderen Männern traf, um „sauer wie eine Grapefruit“ zu sein, wie er in einem Brief im August 1952 schreibt.

Die Historikerin Raim, die in dem zur Ausstellung erschienenen Katalog einen Beitrag über „Die Amerikaner in Landsberg“ verfasst hat, hält die Wortgewandtheit des jungen Mannes für bemerkenswert: „Er war in den Briefen wechselweise melancholisch, fröhlich, traurig, enthusiastisch, zornig, sarkastisch, humorvoll und besitzergreifend. Im Englischen gibt es die schöne Formulierung ,to talk the hind legs off a donkey, wörtlich also: einem Esel die Hinterbeine abschwatzen, und genau das konnte Johnny Cash.“

Sechs Tage Dienst, drei Tage frei: So sah der Schichtplan des Funkers aus. Das US-Militär unternahm große Anstrengungen, damit der Lagerkoller nicht überhandnahm. Für 25 Dollar konnten die Soldaten in mehrtägigen Ausflügen europäische Städte besuchen. Cash nutzte diese Möglichkeiten. Weit weg wollte er eher selten.

Bayern zu erkunden hatte es ihm angetan: Der Country-Sänger segelte auf dem Ammersee und dem Chiemsee, er lernte in Garmisch-Partenkirchen das Skifahren, fischte in Oberammergau Forellen, besuchte Schloss Neuschwanstein und war im Herbst in München Teil dessen, was er als „großen Karneval, der zwei Wochen lang dauerte“, bezeichnet: gemeint war das Oktoberfest.

Und: Er griff gern zum Alkohol. Wenn der tüchtige Soldat zu viel getrunken hatte, verlor er zuweilen die Kontrolle über sich: In Landsberg geriet er nach einigen Liedern in einem Gasthaus in eine Schlägerei. Einem Rivalen schlug er sogar ein paar Vorderzähne aus, berichtet der Täter an Vivian am 20. Oktober 1952. Wieder nüchtern, war der gläubige Baptist über sich selbst entsetzt und bereute zutiefst – bis zum nächsten Rausch.

„Ohne seine Zeit hier wäre aus Johnny Cash nicht dieser berühmte Country-Sänger geworden.“
Stabsfeldwebel Herbert Wintersohl

„In der Kaserne waren Freizeitbeschäftigungen ausgesprochen wichtig“, erzählt Wintersohl und zeigt das Schwimmbecken, das noch heute existiert und nur etwa 50 Meter von Cashs Wohnblock entfernt liegt. Hier badet längst keiner mehr. Ein Zufall wollte es so, dass das im Freien liegende Schwimmbad dieses Frühjahr von überwucherndem Buschwerk befreit wurde. Dass hier Johnny Cash einst tatsächlich seine Bahnen zog, ist einem Schnappschuss aus Privatbesitz zu verdanken, der nun erstmals öffentlich gezeigt wird. Auf dem Bild reckt der Soldat seinem fotografierenden Kameraden den Mittelfinger entgegen. Hier also stand er.

Und noch eines belegen die Briefe auf den Tag genau: dass Johnny Cash am 13. Oktober 1951 das „Amerikino“ in der Kaserne besuchte. Die im Krieg teilweise zerstörte Maschinenhalle war von den US-Soldaten wieder auf- und zu einem Kinosaal umgebaut worden. Noch bis Mitte der 80er Jahre wurden hier Filme gezeigt. Heute dient der Saal mit seinen 357 Plätzen nur noch für Besprechungen und Versammlungen. An jenem Samstagabend schaute sich Cash das Gefängnisdrama „Inside the Walls of Folsom Prison“ an. Der Film beeindruckte ihn. Und er inspirierte ihn. Die Folge: Der „Folsom Prison Blues“ entstand. In jenem kalifornischen Knast gab er später vor Gefangenen kostenlos Konzerte.

„Ohne seine Zeit hier wäre aus Johnny Cash nicht dieser berühmte Country-Sänger geworden“, sagt Wintersohl voller Überzeugung. Die Eindrücke, die er hier gewonnen hat, verarbeitete er in Songs wie „Hey! Porter“, „Wide Open Road“ oder „Dont Take Your Guns to Town“ – dem Titel der Ausstellung. Im Landsberger Musikhaus Ballach kaufte er seine erste Gitarre für 20 Mark. Auf der Stube brachte ihm ein Kamerad das Gitarrespielen bei. Hier gründete er seine erste Band, die er in Anlehnung an die Standortzeitung The Landsberg Bavarian die „Landsberg Barbarians“ nannte.

Und von hier nahm er Erinnerungen mit nach Hause. Anfangs war Landsberg noch eine „lausige kleine Stadt“. Im Rückblick schwärmt er von den schönen Frühlingstagen, in denen er am Lech entlang spazierte. Die drei Jahre in Penzing haben Cash verändert: „Ich lernte die Deutschen ebenso zu lieben wie ihr Land“, schrieb er in der Beigabe einer Platte an seine deutschen Fans.

Der Mann in schwarz und die Ausstellung

Der Sänger: Johnny Cash wurde am 26. Februar 1932 in Kingsland (US-Staat Arkansas) geboren. Er starb am 12. November 2003 in Nashville (US-Staat Tennessee) an den Folgen der Autonomen Neuropathie, einer seltenen Nervenkrankheit. Er war zweimal verheiratet – seit 1954 mit Vivian Liberto und von 1968 an mit June Carter. Aus der ersten Ehe stammen die vier Töchter Rosanne, Kathleen, Cindy und Tara. John (geboren 1970) ist der Sohn aus der Verbindung mit June. Das Werk: Cash hinterließ insgesamt über 500 selbst komponierte Songs. 450 Singles, über 1500 LPs und über 300 CDs wurden in 26 Ländern von 228 verschiedenen Labels herausgebracht. Die Zahl der verkauften Platen wird auf ungefähr 53 Millionen geschätzt. Die erste LP des „Man in Black“ mit dem Titel „With His Hot And Blue Guitar“ kam 1957 auf den Markt.

Johnny Cash wurde mit 13 Grammys, dem „Oscar“ der Musik, ausgezeichnet. Die Ausstellung: Im Neuen Stadtmuseum Landsberg ist die Cash-Ausstellung „Dont Take Your Guns to Town“ noch bis zum 31. Januar 2016 zu sehen. Der Titel der Sonderschau und des Buches ist gleichlautend mit einem bekannten Lied des Musikers: „Nimm deine Schusswaffen nicht mit in die Stadt“ war ein warnender Hinweis an die amerikanischen Soldaten, die sich nach dem Dienst von der Penzinger „Air Base“ auf nach Landsberg machten. Die Schau (geöffnet Dienstag bis Freitag von 14 bis 17 Uhr, Wochenende/Feiertage 11 bis 17 Uhr, montags geschlossen; Eintritt Erwachsene 5 Euro, ermäßigt 2,50 Euro) zeigt in drei Sälen das Leben von US-Soldaten im besetzten Deutschland und insbesondere die drei Jahre Johnny Cashs in Penzing. Das zur Ausstellung erschienene Buch (Volk Verlag München, 152 Seiten) kostet 12,90 Euro. Text: AZ

Jung und unbekannt: Als der Abhörspezialist Johnny Cash auf die „Air Base“ nach Penzing bei Landsberg kam, war der 19-Jährige musikalisch noch nicht in Erscheinung getreten. Eindrücke aus dieser Zeit hat er aber später in seinen Liedern verarbeitet.
| Jung und unbekannt: Als der Abhörspezialist Johnny Cash auf die „Air Base“ nach Penzing bei Landsberg kam, war der 19-Jährige musikalisch noch nicht in Erscheinung getreten.
Johnny Cash       -  Stabsfeldwebel Herbert Wintersohl in dem Kinosaal, der Johnny Cash zum Song „Folsom Prison Blues“ inspirierte.
Foto: Till Hofmann | Stabsfeldwebel Herbert Wintersohl in dem Kinosaal, der Johnny Cash zum Song „Folsom Prison Blues“ inspirierte.
 
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