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Auf Tsipras wartet viel Arbeit in Athen
Griechenland: Der Schuldenstreit ist noch nicht gelöst, ein neues Hilfspaket noch längst nicht beschlossen – aber zumindest gibt es einen Kompromiss. Und das Parlament in Athen muss nun im Eilverfahren Gesetze durchbringen.
GREECE-EU-POLITICS-DEBT       -  Kompromiss nach harten Diskussionen:  Ein abgekämpfter griechischer Premierminister Alexis Tsipras kehrte am Montag nach Athen zurück.
Foto: LOUISA GOULIAMAKI, afp | Kompromiss nach harten Diskussionen: Ein abgekämpfter griechischer Premierminister Alexis Tsipras kehrte am Montag nach Athen zurück.
Detlef Drewes
Detlef Drewes
 |  aktualisiert: 13.07.2015 19:02 Uhr

Es ist nicht der Moment für historische Bilder von Hände schüttelnden Kombattanten, die wieder Freunde sind. 17 Stunden haben sie miteinander gerungen. Eine Einigung haben die 19 Staats- und Regierungschefs der Eurozone erreicht. Aber das große Wort wagt noch niemand auszusprechen: „Griechenland ist gerettet“. „Wir haben das Beste erreicht, was möglich war“, sagt ein abgekämpfter griechischer Premierminister Alexis Tsipras, als er das Brüsseler Tagungsgebäude verlässt. Und er spricht von einem „gerechten Kampf“. „Es gibt keine Gewinner und keine Verlierer“, unterstreicht EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Es sind die Schlussszenen einer Nacht, die Europa in mehrere Lager zerrissen und dann am Ende wieder zusammengeführt hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel, der man die Strapazen der vielen Schlachten dieser Stunden nicht ansieht, bilanziert ebenfalls überraschend nüchtern: „Die Vorteile überwiegen die Nachteile.“

Doch der Weg zu diesem „Agreekment“, wie Ratspräsident Donald Tusk am Morgen salopp die Verständigung aus den englischen Wörtern Greece (= Griechenland) und agreement (= Einigung) neu bastelte, war nicht nur einfach lang. Schon kurz nach Mitternacht notierte ein hoher EU-Diplomat „Die Atmosphäre ist geradezu feindselig“. Beobachter berichteten von lauten und scharfen Auseinandersetzungen – vor allem an die Adresse Merkels und ihres Finanzministers Wolfgang Schäuble. „Entmachtung der griechischen Regierung“, „Entwürdigung des hellenischen Volkes“ – all das seien noch die harmloseren Vorwürfe gewesen, weil die Vertreter Berlins keine Handbreit von ihren Forderungen abweichen wollten. Das Ergebnis spiegelt den Hintergrund der Vorwürfe wider: Premier Alexis Tsipras musste unterschreiben, praktisch alle Gesetze wieder einzukassieren, die er seit seinem Amtsantritt im Januar erlassen hat und die einer Sanierung Griechenlands im Weg stehen könnten.

Bis Mittwoch muss er dafür sorgen, dass sein Parlament die Reform der Mehrwertsteuer, den Umbau des Justiz- und Rentensystems sowie Teile der Rentenreform absegnet, die Unabhängigkeit der griechischen Statistikbehörde Elstat wiederherstellt und die EU-Regeln zur besseren Kontrolle des Finanzsystems umgesetzt werden. Die in Athen verhasste Troika ist zu akzeptieren, und der Internationale Währungsfonds (IWF) bleibt auch künftig als Partner mit im Boot. Erst wenn Tsipras bei dieser Operation Vollzug melden kann, werden die nationalen Parlamente um einen Verhandlungsauftrag für ein drittes Hilfspaket in Höhe von 82 bis 86 Milliarden Euro gebeten.

Das Urteil des US-amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul Krugman fiel noch verheerender aus: „Die völlige Aufgabe ist nicht genug für Deutschland, das einen Regimewechsel will und die totale Demütigung“, schrieb er via Twitter. „Das europäische Projekt – ein Projekt, das ich immer gelobt und unterstützt habe – hat gerade einen furchtbaren, vielleicht sogar tödlichen Schlag erlitten.

“ Doch die Schuldzuweisung stimmte nicht einmal ansatzweise mit dem überein, was hinter verschlossenen Türen und ständig sich wiederholenden Gesprächen im kleinen Kreis vorging. Denn es waren keineswegs nur die deutsche Kanzlerin und ihr Finanzminister, die den griechischen Premier auf Linie brachten. Die Slowakei, Slowenien, die baltischen Staaten, die Niederlande, Finnland – deren Regierungschefs mauerten und wollten lange überhaupt keine Einigung. Noch am Montagmorgen um kurz vor acht Uhr bemerkte Parlamentspräsident Martin Schulz: „Es steht Spitze auf Knopf. Da kann die Eurozone auseinanderfliegen.“

Dass dies nicht geschah, lag am Ende wohl am Verhandlungsgeschick des Ratspräsidenten, aber auch der Achse Berlin-Paris. Merkel und der französische Staatspräsident François Hollande blieben einerseits hart, gingen aber dennoch auf Tsipras zu.

Das betrifft auch den umstrittenen Treuhandfonds, die vielleicht wichtigste Neuerung, die Schäuble unter scharfem Protest der Eurogruppe vorgeschlagen und die Bundeskanzlerin anschließend durchgesetzt hatte. In diesem Fonds soll Griechenland seinen Staatsbesitz bündeln und unter Aufsicht der Geldgeber verkaufen, um Schulden abzutragen. 50 Milliarden Euro sollen so in den nächsten drei Jahren zusammenkommen. Dass dieses Instrument faktisch die Enteignung Griechenlands und den Zwangsverkauf seines Tafelsilbers bedeutet, überging man. Schließlich wollten die Euro-Partner Sicherheiten für die neuen Kredite. Das Entgegenkommen besteht darin, dass Athen 12,5 Milliarden für Investitionen in die eigene Wirtschaft abzweigen darf. Zusammen mit den ohnehin fließenden zehn bis zwölf Milliarden, die das Land aus der laufenden EU-Förderung pro Jahr erhält, und jenen 35 Milliarden, die das 315-Milliarden-Paket der EU-Kommission für Griechenland bereitstellen will, ergäbe dies ein„ordentliches Wachstumspaket“, zeigte sich Hollande angetan. Außerdem signalisierte man Tsipras, bei den Rückzahlungen der Darlehen, für die die Euro-Partner geradestehen, noch längere Laufzeiten und niedrigere Zinsen zu akzeptieren.

Das ist zwar kein Schuldenschnitt im klassischen Sinne des Wortes, wirkt aber genauso. „Wir stehen vor harten Entscheidungen“, kommentierte der griechische Premier, bevor er Brüssel verließ. Aber er würde zu Hause genauso hart für diese Beschlüsse kämpfen, wie er mit den Partnern „um faire Vereinbarungen“ gerungen habe. Als die Bundeskanzlerin Montagvormittag nach dem Ende der Beratungen gefragt wurde, wo denn im Abschlusspapier die griechische Handschrift zu erkennen sei, meinte sie vielsagend: „Die gibt es in Form des hohen Finanzmittelbedarfs.“

Euphorie oder Genugtuung, Zufriedenheit oder Erleichterung – am Ende des Hellas-Marathons war nichts davon zu spüren. „Natürlich haben die Deutschen sich durchgesetzt“, sagte ein hoher EU-Vertreter, als alle Beschlüsse gefasst, alle Gräben wieder zugeschüttet und alle Meinungsverschiedenheiten geglättet waren. „Aber sie standen nicht alleine da. Der Grexit ist vom Tisch. Das ist die Nachricht des Tages.“

Der Reform-Fahrplan

Kritiker nennen die Liste eine bedingungslose Kapitulation, die Staats- und Regierungschefs sprechen von einem Reform-Fahrplan: Bis zum morgigen Mittwoch muss das Parlament in Athen eine Mehrwertsteuerreform billigen, die drei Stufen (sechs, 13, 23 Prozent) einführt. Unterm Strich sollen die Sätze mindestens eine Milliarde Euro Mehreinnahmen im Monat bringen. Außerdem muss eine Rentenreform beschlossen werden. Das Parlament muss darüber hinaus festschreiben, dass Budgetkürzungen greifen, sobald die geplanten Sparziele nicht erreichbar scheinen. Zusätzlich soll Athen die EU-Richtlinie für eine Rekapitalisierung der Banken akzeptieren. Erst nach dieser Vorleistung werden die nationalen Parlamente um einen Verhandlungsauftrag für das dritte Hilfspaket gebeten. Athen verpflichtet sich, bis spätestens Oktober eine Rentenreform vorzulegen, die Ladenöffnungszeiten zu lockern, die Märkte für Medikamente, Backwaren und Milch zu liberalisieren, Berufe, in denen es bisher keinen Wettbewerb gibt, für Konkurrenz zu öffnen, den Stromnetzbetreiber AFDMIE zu privatisieren, den Kündigungsschutz zu lockern, die Aufsicht der Banken zu verschärfen und eine Verwaltungsreform anzugehen.

Seine Staatsbeteiligungen soll Athen in einen Treuhandfonds einbringen, der diese unter Aufsicht der Geldgeber verkauft. Der Großteil der Erlöse – erwartet werden 50 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren – dient zur Begleichung von Schulden. Ein Viertel (12,5 Milliarden) verbleibt als Wachstumshilfe im Land. Bei Durchführung dieser Auflagen wird die Währungsunion gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bis zum Herbst die Vorarbeiten für ein drittes Hilfspaket abschließen. Die notwendigen 82 bis 86 Milliarden Euro dazu stammen aus dem ESM-Rettungsschirm. Die bis Mitte August fälligen Raten für die Europäische Zentralbank (EZB) und den IWF in Höhe von rund zwölf Milliarden Euro sollen durch ein finanzielles Hilfsprogramm aufgefangen werden. Die Regierung von Premier Alexis Tsipras muss sofort damit beginnen, alle Vorhaben und Gesetze einzukassieren, die seit Januar 2015 erlassen wurden, aber der Sanierung des Landes entgegenstehen. Dabei geht es um Zusatzrenten, Mindestlöhne sowie die Wiedereinstellung von Beschäftigen im öffentlichen Dienst. Gestoppte Privatisierungen sollen wieder in Gang gebracht werden. Text: dre

„Die Vorteile überwiegen die Nachteile.
Angela Merkel, Bundeskanzlerin
 
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