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BERLIN
Athens Schulden und deutsche Reparationen
Erinnerung an den Krieg: Mahnwache vor dem Denkmal des unbekannten Soldaten in Athen.
Foto: J. Kolesidis, dpa | Erinnerung an den Krieg: Mahnwache vor dem Denkmal des unbekannten Soldaten in Athen.
Rudi Wais
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 11.12.2019 14:53 Uhr

Der griechische Präsident wusste, wovon er sprach. Karolos Papoulias hatte als junger Partisan noch gegen die Deutschen gekämpft, an diesem Nachmittag im September vergangenen Jahres aber wollte er nicht über das heikle Thema Reparationen reden. „Es gibt vieles, was uns belastet“, sagte der 85-Jährige zu Bundespräsident Joachim Gauck. „Aber es gibt auch Positives, und das wollen wir hervorheben.“

Als er wenig später zurück nach Athen flog, waren die deutsch-griechischen Beziehungen um zwei Projekte reicher: Ein neues Jugendwerk soll gemeinsame Theater-, Sport- und Musikprojekte genauso bezuschussen wie den Schüleraustausch – und ein Zukunftsfonds mit einer Million Euro im Jahr die wissenschaftliche Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte fördern.

Zwar hat auch Papoulias die Forderung nach einer Entschädigung für das während des Krieges erlittene Unrecht bis zum Ende seiner Amtszeit vor wenigen Tagen nicht aufgegeben. So fern wie im Moment jedoch waren sich das politische Berlin und das politische Athen lange nicht mehr.

„Sie werden die griechischen Schulden nicht durch wie immer zu konstruierende deutsche Verpflichtungen aus dem Zweiten Weltkrieg bezahlt bekommen“, wehrt Finanzminister Wolfgang Schäuble alle Begehrlichkeiten ab – und holt seinerseits zum großen Rundumschlag gegen den neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras und seinen Finanzminister Gianis Varoufakis aus. Regelrecht belogen habe die neue griechische Regierung ihr Volk, Absprachen mit den europäischen Partnern gebrochen und damit „alles Vertrauen zerstört“.

Bei allem Ärger über die Provokationen mischt sich in die deutsche Debatte mittlerweile jedoch auch ein Schuss Verständnis für die Forderungen aus Athen – und zwar nicht nur unter den Abgeordneten der Opposition, sondern auch in Teilen der SPD. Gesine Schwan, ihre ehemalige Präsidentschaftskandidatin, plädiert offen für weitere Zahlungen: „Wir sollten auf die Opfer und deren Angehörige finanziell zugehen. Es geht darum, anzuerkennen, dass wir in Griechenland schlimmes Unrecht begangen haben.“

Ähnlich argumentiert Parteivize Ralf Stegner: „Es gibt auch nach Jahrzehnten noch völkerrechtliche Fragen.“ Die Diskussion über Entschädigungen gehöre „zum Umgang mit unserer Geschichte“.

Aus Sicht der Bundesregierung hat Griechenland mit den Anfang der sechziger Jahre erhaltenen 115 Millionen D-Mark und der Anerkennung des Zwei-Plus-Vier-Vertrages über die Neuordnung Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhanges alle Ansprüche verwirkt. Urteile des Bundesverfassungsgerichtes und des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag haben diese Sicht im Prinzip bestätigt.

Die Frage der Reparationen sei „politisch und juristisch abgeschlossen“, sagt der SPD-Mann Michael Roth, der sich als Staatsminister im Auswärtigen Amt auch um die deutsch-griechischen Beziehungen kümmert. Mit dem Zukunftsfonds, dem Jugendwerk und der Unterstützung für jüdische Gemeinden in Griechenland zeige Deutschland jedoch, dass es weiter zu seiner Schuld und seiner Verantwortung stehe.

Anton Hofreiter dagegen, der Fraktionschef der Grünen, plädiert für „eine gütliche Lösung“ zwischen Berlin und Athen. Deutschland könne die Forderungen, die mal mit fünf Milliarden, mal mit mehr als 300 Milliarden Euro beziffert werden, „nicht einfach vom Tisch wischen“.

Zwangsanleihe aus dem Jahr 1942

Der neue griechische Präsident Prokopis Pavlopoulos pocht unter anderem auf die Rückzahlung einer Zwangsanleihe über 476 Millionen Reichsmark aus dem Jahr 1942, die nach griechischen Berechnungen heute etwa elf Milliarden Euro wert sein soll.

Würde die Bundesregierung sich auf solche Nachverhandlungen einlassen, würde sie nach Einschätzung des Münchner Historikers Hans Günther Hockerts einen teuren Präzedenzfall schaffen. „Schließlich waren rund 60 Staaten Kriegsgegner des Deutschen Reiches“, betont Hockerts in der „Welt“. Wenn Berlin auch nur einen solchen Anspruch anerkenne, „kann eine Kettenreaktion in Gang kommen“.

Regierung Tsipras auf der Suche nach Geld

Rückschlag für die Konsolidierung des griechischen Haushalts: 2014 fiel der Primärüberschuss deutlich kleiner aus als bisher erwartet. Auch im laufenden Jahr wächst die Finanzlücke. Wie neuere Berechnungen des Athener Finanzministeriums zeigen, erwirtschaftete das Krisenland 2014 in der Primärbilanz, die den Schuldendienst ausklammert, lediglich einen Überschuss von 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Angesetzt waren 1,5 Prozent. Der Fehlbetrag des vergangenen Jahres beläuft sich auf rund zwei Milliarden Euro. Schon jetzt zeichnet sich auch für das laufende Haushaltsjahr eine größere Finanzlücke ab. In den ersten beiden Monaten betrug der Primärüberschuss nur 503 Millionen Euro, gegenüber 1,68 Milliarden im Vorjahr. Die Einnahmen lagen mit 6,73 Milliarden Euro deutlich unter dem Ziel von 7,95 Milliarden. Experten erwarten für das diesjährige Budget eine neue Lücke von 3,3 Milliarden Euro, wenn Griechenland einen Primärüberschuss von drei Prozent des BIP erfüllen soll. Dieses Ziel ist mit den Gläubigern vereinbart. Am Freitag muss Athen rund 350 Millionen Euro an den IWF zurückzahlen sowie Zinsen in Höhe von 110 Millionen an die EZB überweisen. Ebenfalls am Freitag werden Geldmarktpapiere von 1,6 Milliarden Euro fällig, die rechtzeitig refinanziert werden müssen. Umso dringender sucht die Regierung nach Geld. Am heutigen Mittwoch soll das Parlament über ein Gesetz abstimmen, das säumigen Steuerzahlern Anreize bietet, ihre Schulden zu zahlen. Pensionskassen sollen ihre Barreserven in Staatspapiere investieren. Text: höh

 
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