Eine Intervention zur Terrorbekämpfung und zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung im Nordwesten Syriens – so sieht die Türkei ihren Einmarsch in der Region um die Stadt Afrin. Doch mehr als einen Monat nach Beginn der Aktion kann von Ruhe und Ordnung keine Rede sein. Der Vormarsch gegen die Kurdenmiliz YPG kommt nur langsam voran, und jetzt erhalten die Kurden auch noch Unterstützung von Milizen, die dem syrischen Staatschef und türkischen Erzfeind Baschar al-Assad ergeben sind. Ankara hat das Eingreifen der Damaskus-treuen Kräfte nicht verhindern können. Die Entwicklung macht eines deutlich: Ohne Absprache mit Assad wird der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan in Syrien nicht weiterkommen. Offiziell schließt die Türkei solche Zugeständnisse an Syrien aus. Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin warnte am Mittwoch, jeder Unterstützer der Kurden in Afrin sei ein „legitimes Ziel“ für die türkische Armee. Der Präsident selbst spielte das Eingreifen der Milizen als Einzelaktion von „Terroristen“ herunter.
Mit Artilleriebeschuss hatten die Türken am Dienstag versucht, das Vorrücken der syrischen Milizen zur Unterstützung der YPG in Afrin zu verhindern, doch der Versuch scheiterte: Ein Kommandeur der Milizen sagte der Nachrichtenagentur Reuters, seine Kämpfer seien in Afrin angekommen und hätten das Feuer der Türken erwidert. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur SANA meldete die Ankunft weiterer regierungstreuer Kämpfer in Afrin, die gegen die „fortgesetzte Aggression des türkischen Regimes“ in die Schlacht zögen.
Assad ist zwar kein Freund der kurdischen Minderheit in Syrien, hat aber ein Interesse daran, den Türken eine Niederlage beizubringen. Für Erdogan bedeutet Assads Schachzug zusätzliche Probleme, auch wenn bisher keine offiziellen syrischen Regierungstruppen in Afrin aufgetaucht sind, sondern lediglich regierungstreue Milizen. Damit droht eine immer tiefere Verwicklung der Türken in den Syrien-Konflikt, was für Erdogan innenpolitisch riskant ist: Er hat seinen Wählern eine Strafmission gegen die Kurden versprochen, nicht einen Krieg gegen Assad.
Mit jedem Tag wächst deshalb der Druck auf Erdogan, etwas zu tun, was er seit Jahren partout vermeidet: den direkten Kontakt zu Assads Regierung zu suchen. Der türkische Präsident strebt die Entmachtung Assads an – wenn er jetzt das Gespräch mit Damaskus suchen müsste, um sich in Afrin aus einer Notlage zu befreien, wäre das ein schwerer Gesichtsverlust für Erdogan, der seit Jahren als Beschützer syrischer Regimegegner auftritt. Eine Kooperation zwischen Ankara und Damaskus im syrischen Krieg würde dazu beitragen, die Türkei noch weiter aus dem Lager des Westens herauszulösen – ein strategisches Ziel der Russen.